Neue Gesichter, alte Gangart
Ein Kommentar von Tomas Avenarius
Das absehbare
Ende des Autokraten Mubarak
bedeutet nicht unbedingt den Sieg über die Autokratie. Vizepräsident Suleiman ist Mubaraks Klon. Zu glauben,
er führe das Land in die Demokratie, ist
naiv.
Mohamed
ElBaradei spielt in der ägyptischen Revolte eine traurige Rolle. Der Friedensnobelpreisträger
ist kein
Volkstribun. Er hat die
Chance verpasst, sich an die Spitze der
Protestierenden auf dem
Tahrir-Platz zu stellen: Dem Ex-Chef der Internationalen Atomenergiebehörde
fehlt es wohl an Mut. Aber
er hat Verstand, er sagt: "Zu hören, dass
Hosni Mubarak bleiben und dass
der Prozess des Wandels im Wesentlichen
von seinem engsten militärischen Berater Omar
Suleiman angeführt werden soll, ohne dass
die Zivilisten an der Macht beteiligt
werden, ist sehr, sehr enttäuschend."
ElBaradeis Urteil ist berechtigt. Ob
Washington, Berlin oder die Münchner
Sicherheitskonferenz, alle reden von der friedlichen
Lösung, Verfassungsänderung,
Neuwahlen, Übergangsfristen,
einer Road Map zur Demokratie. Der Kern: Mubarak legt
die Macht in die Hände
seines Vizes Omar Suleiman, inoffiziell
und ohne Gesichtsverlust. Der Vize redet mit der Opposition. Das alte Regime und seine Gegner führen Ägypten Hand in Hand in eine demokratische Zukunft an den Pyramiden.
Das ist naiv. Oder sehr berechnend.
Das Mubarak-Regime ist angeschlagen. Aber noch steht es. Gut, der Staatschef zeigt sich "amtsmüde". Die Führungsspitze der regierenden NDP-Partei ist abgetreten.
Mubaraks Sohn und eigentlich designierter Thronerbe Gamal zieht sich zurück
aus der Politik.
Aber das
System funktioniert. Es hat seinen despotischen Charakter nicht aufgegeben. Der Vizepräsident ist Geheimdienst-Mann,
der neue Premier ein Ex-General, der neue Innenminister auch. Die Polizei hat die verhafteten Regimegegner bisher nicht freigelassen.
Die Armee sorgt für Sicherheit: Sie ist keine Bürgerarmee, sondern die Truppe des Kriegshelden Mubarak.
Ägyptens Autokratie besteht
nicht nur aus Mubarak.
Das System ist komplex, es gibt
staatliche Institutionen,
den NDP-Parteiapparat sowie
halboffizielle Netzwerke.
Die Verbindungen sind politisch, finanziell, persönlich. Dieser Krake will überleben. Mit dem Vizepräsidenten
an der Spitze.
Suleiman ist Mubaraks Klon.
Und die Opposition? Ein bunter Haufen, der Kairos
zentralen Platz besetzt hält, Menschen
in erstaunlicher Zahl mobilisiert. Mehr nicht. Die Protestierenden
sollen nun mit dem Vertreter eines
Systems verhandeln, das keine
Garantien gibt: Wann kommen die Gefangenen frei? Wer gewährleistet Straffreiheit?
Der Opposition bleibt nur
die Dauerdemonstration als Druckmittel. Sie braucht ein zweites.
Das könnte glaubwürdige Unterstützung von außen sein, in Form von kritischer Distanz zu Suleiman. Bei zu
viel Vertrauen in den Vizepräsidenten könnten Amerikaner und Europäer sich bald wieder an der Seite
einer Autokratie in Ägypten finden, neues Gesicht, alte Gangart. Das wird die Ägypter noch mehr provozieren.
Dann droht eine andere Revolution: antiamerikanisch,
antiisraelisch, antiwestlich
und vielleicht islamisch.