Stumpfe Speerspitze

 

Eric Gujer

 

2.12.2014

 

Das Leben ist ein Kompromiss; das gilt besonders für Grossorganisationen wie die Nato. Die Allianz konnte sich nicht darauf einigen, zum besseren Schutz ihrer östlichen Mitglieder Truppen an der Grenze zu Russland zu stationieren. Der Kompromiss zwischen Abschreckung und Beschwichtigung Moskaus besteht in einer schnellen Eingreiftruppe, die innert Tagen nach Osten verlegt werden kann. Doch diese Konstruktion geht weder politisch noch militärisch auf.

 

Vorderhand stützt sich die «Speerspitze» getaufte neue Truppe auf das Deutsch-Niederländische Korps – und damit beginnen die politischen Probleme. Deutschland ist mitunter ein unzuverlässiger Partner, wie es während der Luftangriffe auf Libyen im Jahr 2011 demonstrierte. Weil sich Berlin im Uno-Sicherheitsrat der Stimme enthalten hatte, zog es Schiffe und Soldaten aus der Nato-Operation ab. Man erwog sogar, die an den Planungen im Nato-Hauptquartier beteiligten deutschen Offiziere freizustellen. Da Berlin jede militärische Provokation Moskaus ablehnt, wäre es also nicht unwahrscheinlich, dass Deutschland im letzten Moment seine Teilnahme an der «Speerspitze» suspendierte. Überdies muss der Bundestag jedem Auslandeinsatz zustimmen, was die geplante Einsatzbereitschaft innert zwei bis fünf Tagen infrage stellt. Die Bundeswehr wird nicht immer das Rückgrat des Verbandes bilden, aber doch relativ oft, da es nicht viele europäische Länder mit ausreichend grossen Streitkräften gibt.

 

Ausserdem besitzt die Nato längst eine schnelle Eingreiftruppe. Sie wird aber nicht eingesetzt, weil die Nato-Mitglieder lieber in flexiblen Koalitionen in den Krieg ziehen, um politische Probleme wie mit Deutschland zu vermeiden. Einen zweiten nur bedingt praxistauglichen Verband zu gründen, ergibt deshalb wenig Sinn. Um die gewünschte kurze Reaktionszeit zu garantieren, muss zudem hoher Aufwand betrieben werden. Klüger wäre gewesen, dauerhaft Kräfte im Osten zu stationieren. Doch so vernünftig geht es im Leben eben selten zu.