Was schert uns Amerika?
Thomas Fricke
10. Juni
2011
Aus den Vereinigten
Staaten mehren sich die konjunkturellen Schwächelsignale. Kein Grund zur Panik. Die US-Wirtschaft wird für die Weltkonjunktur
immer unwichtiger.
Amerikas Einkaufsmanager hüsteln. Am Arbeitsmarkt
wurden weniger Jobs geschaffen. Und in ein paar US-Großstädten sind die Hauspreise
gesunken. Schon herrscht Alarm, kursieren
Absturzszenarien und Endzeitstimmung.
Für die US-Konjunktur. Und
die Welt. Selbst der deutsche Aufschwung
scheint in Gefahr.
So unken
jetzt jedenfalls die Absturzpropheten. Dabei könnte sich das
als doppelt
daneben erweisen. Erstens sind
die USA noch relativ weit von der nächsten
richtigen Rezession entfernt. Zweitens sollte uns alles
andere heutzutage ziemlich egal sein,
weil die US-Wirtschaft an globaler Bedeutung inzwischen dramatisch verloren hat. Historisch.
Das könnte auch den Urreflex ad absurdum führen, dass die Weltkonjunktur in Gefahr ist, wenn
US-Einkaufsmanager schlechte
Laune kriegen.
Fast gleichauf
mit China
Klar. Amerikas Wirtschaftswachstum hat zuletzt nachgelassen. Die Unternehmen zögern, massenhaft neue Leute einzustellen. Der hohe Ölpreis
belastet. Und am Immobilienmarkt
wirkt das Platzen der Blase
nach. Nur heißt das allein noch nicht,
dass gleich die nächste Rezession kommt.
In kaum
einem anderen Land haben Unternehmen die Krise so stark genutzt, sich selbst wieder
fit zu machen. Die Produktivität ist
seit 2008 hochgeschnellt,
die Lohnstückkosten sind
stark gefallen. Die Gewinne
sind jetzt
sogar höher als zu Bestzeiten
vor der Krise.
Und: Der Dollar ist heute im Schnitt
fast 40 Prozent billiger als vor zehn
Jahren. Was für US-Firmen einen enormen
Schub an Wettbewerbsfähigkeit
gebracht hat. Siehe Exportbilanz: Amerikas Ausfuhren sind
früher auf Vorkrisenniveau zurückgeschnellt als die gelobten deutschen. In Hightechgüter investieren US-Unternehmen heute ebenfalls deutlich mehr als
vor der Krise.
Die Neuanträge
auf Arbeitslosengeld sind so stark gesunken, dass nach aller
Erfahrung etwas verzögert auch die Arbeitslosenquote bald stark sinken
könnte. Ein weiteres positives Zeichen.
Per saldo dürfte all das dazu führen,
dass die US-Wirtschaft expandiert, nur eben gemäßigter als in ungetrübten
Zeiten, so wie das nach einer
geplatzten Finanzblase eben oft ist. Die Frage ist,
ob uns das sonderlich stören muss.
Klar, Amerika ist wichtig.
Nur hat die Finanzkrise den
Trend zur globalen Gewichtsverlagerung dramatisch beschleunigt – weg von den Vereinigten Staaten. Schon weil in vielen
Schwellenländern ein Rückgang der Wirtschaftsleistung
in der Krise ausblieb, erreichen die zwischenzeitlich geschrumpften
USA seitdem einen deutlich kleineren Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt. Ähnliches
gilt in Sachen Importmarkt.
Noch vor zehn Jahren kauften
die Amerikaner fast 20 Prozent
der weltweiten Importe. Mittlerweile sind es noch zwölf Prozent.
Anno 2000 lag die amerikanische Quote fünfmal so hoch wie die chinesische.
Heute trennen beide Länder
gerade mal noch drei Prozentpünktchen.
Schon im US-Absturzjahr
2009 wurden erstmals mehr Autos in China neu angemeldet als
im Land der Big Three. Zwei Jahre später
liegen die Chinesen fast 50
Prozent über den Amerikanern, so Véronique Riches-Flores,
Ökonomin bei der Société Générale
in Paris. Alles in allem geben die Chinesen zwar nach wie
vor nur ein
Fünftel dessen aus, was die Amerikaner so ausgeben. Dafür wachsen ihre Ausgaben fünfmal so schnell. Ergebnis: 2010 trug China erstmals genauso viel zum
weltweiten Anstieg des Konsums bei wie
die Amerikaner. Vor zehn Jahren lag der US-Beitrag fünfmal so hoch.
Noch eindrucksvoller ist der
Trend bei den Investitionen,
zu deren globalem Wachstum die Chinesen 2010 enorme sieben Prozentpunkte beitrugen und die US-Unternehmen nicht einmal einen.
Bei den globalen Direktinvestitionen liegt China selbst im Niveau
jetzt gleichauf, ebenfalls historisch: 2010 investierten ausländische Firmen im Reich der Mitte erstmals
mehr als
in den USA. Vor Kurzem undenkbar.
Wie eindrucksvoll all das den jahrzehntelang immensen Einfluss der US-Konjunktur auf den Rest der Welt relativiert, hat schon die jüngste Krise erahnen lassen.
Während die USA in eine gewaltige Rezession glitten, wuchsen Chinesen, Inder und andere fast unbekümmert weiter, gestützt auch von großen Konjunkturpaketen.
Die deutsche Wirtschaft boomt seit zwei Jahren,
obwohl hiesige Exporteure heute nicht mehr, sondern
weniger in die USA verkaufen
als 2005/06. Da kann der Aufschwung definitiv nicht herkommen. Nach China hat sich der deutsche Export allein seit 2007 dafür mehr als
verdoppelt. Auch das gleicht einer
Zeitenwende: Vor zehn Jahren verkauften
die Deutschen fünfmal mehr in die USA als
nach China. Jetzt ist China kurz
davor, die USA als Absatzmarkt abzuhängen (siehe Grafik) – und als ausländischer Konjunkturmotor.
Wahrscheinlich würde all das vor schwereren
Folgen nicht schützen, wenn Amerika in eine tiefe Rezession glitte; dafür ist das Land noch zu gewichtig.
Und natürlich hat die jüngste
Krise auch gezeigt, wie schnell
eine systemische Finanzkrise von New York auf Deutschland überspringen kann. Nur gibt es
derzeit weder Rezessionssignale noch eine Blase wie
vor 2008 am US-Immobilienmarkt;
die Bauinvestitionen sind
auf mickrige 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung
gefallen, da kann nicht mehr viel
einbrechen. Umso nachdrücklicher gilt die neue Regel: Amerika ist im Weltmaßstab eben weit weniger wichtig
als früher.
Entsprechend absurd ist,
mit welch reflexartiger Aufregung an den Finanzmärkten immer noch jedweder Indikator
zur US-Konjunktur bemuttert wird. Entsprechend absurd ist auch, jetzt das
Ende vom deutschen Aufschwung zu prophezeien, weil sich in den USA das Wirtschaftswachstum von möglicherweise 3,5 auf nur noch 2,5 Prozent abschwächt.
Selbst wenn Deutschlands
US-Export deshalb um fünf Prozent fiele, was sehr unwahrscheinlich ist, würde das
rechnerisch nicht einmal 0,1 Prozent
der deutscher Wirtschaftsleistung kosten. Ziemlich egal.