Ines Zöttl - Karussell der Hoffnungsträger

 

Obama ist nicht der erste Politiker, von dem wir uns enttäuscht abwenden. Denn wer nicht sofort liefert, ist raus. von Ines Zöttl

 

Ein Stern verglüht, und die Welt dreht sich weiter, im Leben bleibt nichts, wie es ist. Die Glut der Zeit trocknet auch deine Tränen, auch wenn du ihn nie ganz vergisst. (Bergfeuer, Ein Stern verglüht)

 

Obama  ist durch - und zwar so was von. Die völkervereinigende Freude, mit der die Millionen den ersten schwarzen Präsidenten der USA umschlangen, ist dahin. Kurz bevor sich die Wahl zum zweiten Mal jährt, findet nicht einmal mehr die Hälfte der Amerikaner, dass er einen guten Job macht. Die arabische Welt hat sich enttäuscht abgewendet. Die Europäer stehen noch - aber der Obama-Aufkleber am Badspiegel ist abgezuppelt, das Fähnchen aus der Wahlnacht längst entsorgt. Der "Weltpräsident" hat seinen Zauber verloren.

 

Gescheitert oder überschätzt

 

Dieser Wandel hat mit Obamas - an vielen Stellen gescheiterten - Politik zu tun, natürlich. Aber er hat auch etwas mit uns zu tun, den Wählern, den Bürgern. Ein Stern ist verblasst, weil wir das Licht angeknipst haben.

 

1093 Treffer wirft das FTD-Archiv für den "Hoffnungsträger " aus - zu viele, findet die Archivsoftware, und so "werden nur 100 Fundstellen angezeigt". Darunter ist das Krebspräparat Erbitux ebenso wie die Fortsetzung von "Der Herr der Ringe". Aber vor allem gehören dazu viele Politiker, die Hoffnung für uns trugen und mal kürzer, mal länger am Polithimmel funkelten: Tony Blair leuchtete ausdauernd und hell, bevor er unwiderruflich erlosch. Der japanische Ministerpräsident Naoto Kan war ein paar Wochen lang schwach am Firmament zu erkennen.

 

Bei Umweltminister Norbert Röttgen sind die Experten uneinig, ob es sich nicht um eine optische Täuschung handelt. Das Archiv speit Namen aus, die längst verdaut sind: Matthias Platzeck  (Kurt Beck : "Wir brauchen keinen Messias, wir haben einen Matthias"). Es gibt die, die ihre Bahnen ziehen und nur mit dem Fernglas erfasst werden: Friedrich Merz ist so einer. Und es gibt die, die Hoffnungsträger wurden, weil sonst gerade keiner da war. Kurt Beck . Horst Seehofer . Annette Schavan .

 

Ein idealer Hoffnungsträger allerdings sieht anders aus: So wie Karl-Theodor zu Guttenberg. Also vor allem attraktiv. Erbanlagen helfen, sind aber nicht entscheidend. Es ist seine scheinbar mühelose Eleganz, die Guttenberg abhebt "von vielen Abgeordneten, die aussehen, als würden sie in ihren Anzügen schlafen", wie die Zeitschrift "Cicero" es beschreibt. So jemanden zeigt man dem Publikum einfach gern.

 

Ganz wichtig sind auch die vermeintliche Distanz zur Politik und die gepflegte Aura der Unabhängigkeit. Je weniger der Hoffnungsträger mit dem Geschäft zu tun zu haben scheint, das ihn groß macht, desto besser: Er sollte der Mann sein, der aus dem Nichts kam - und frisch entdeckt werden kann. Dass Guttenberg schon seit 2002 im Bundestag saß, steht dazu nicht im Widerspruch. Ist ja keinem aufgefallen.

 

Redet dann einer noch Klartext, ohne viel zu sagen, ist ihm der Aufstieg fast sicher.

 

Denn uns Wählern geht es nicht um die Details. Wir suchen Ihn: den Politiker, dem wir vertrauen können. Den, der durchdringt, was uns zu komplex ist, und die richtigen Entscheidungen trifft. Oder der sich dafür die richtigen Leute holt. Oder eigentlich suchen wir das alles nicht: Es reicht völlig, wenn er die Welt einfach besser macht. Irgendwie.

 

Die Fanforschung liefert Ansätze, die sich auf die Politik übertragen lassen. Fans sind überzeugt, dass ihr Star sie nicht enttäuschen würde. Sie neigen dazu, das Bühnenimage ihres Stars als authentisch zu sehen. Oft wird er als Freund angesehen, obwohl es sich um eine fremde Person handelt. Allerdings gibt es auch Studien, die behaupten, dass Menschen, die im Einklang mit sich selbst stehen, keine Idole brauchen. Dass Fans meistens besonders ängstlich sind, häufiger an Depressionen leiden und sozial inkompetenter sind. Also in etwa den Gemütszustand von uns Wählern haben.

 

Verängstigte Wähler

 

Denn wir sind in Wirklichkeit nicht politikverdrossen, sondern verängstigt. Werden wir uns selbst abschaffen, wird bald von jedem Kirchturm ein Muezzin rufen? Wird der Kapitalismus untergehen (schlimm) - oder nicht (noch schlimmer)? Oder konkret: Hätte Obamas 800-Mrd.-Dollar-Konjunkturpaket nicht viel größer ausfallen müssen, um die Krise aufzuhalten (wie Nobelpreisträger Paul Krugman  sagt), oder treibt da einer den Staat endgültig in den Ruin (wie die Republikaner sagen)?

 

Wer bei solchen Fragen nicht depressiv wird, der muss schon Schalke-Fan sein. Und deswegen brauchen wir den Hoffnungsträger.

 

Oder, besser gesagt, viele davon. Denn die Hoffnung stirbt zuerst. Wer nicht schnell liefert, ist draußen - Entschuldigungen gelten nicht. Dass der mächtige US-Präsident ohne eine Mehrheit im Senat wenig ausrichten kann, ist sein Problem. Ohnehin sorgen wir mit vielen Checks und Balances in der Regel selbst dafür, dass der Hoffnungsträger nicht auch noch Verantwortung schultern muss.

 

Ein Politiker sei "heute einfach schneller durchgenudelt, als das noch vor 20 Jahren der Fall war", hat Ole von Beust bei seinem Abschied aus der Politik gesagt. Dem Durchnudeln entgeht nur der, der rechtzeitig stirbt (Kennedy), dem das Glück der verpassten Gelegenheit zufällt (Gauck) oder der nie irgendjemandem zu Hoffnung Anlass gegeben hat (Merkel).

 

Es scheint ein Paradoxon. Der Politik (ersetzbar durch: die Wirtschaft, die Kultur, die Künste) fehlt es bekanntermaßen dramatisch an Talenten und Nachwuchs. Nur die Hoffnungsträger gehen nie aus.

Was tust du, Fauste! Fauste! - Mit Gewalt Faßt er sie an, schon trübt sich die Gestalt. Den Schlüssel kehrt er nach dem Jüngling zu, Berührt ihn! - Weh uns, Wehe! Nu! im Nu! (Explosion. Die Geister gehen in Dunst auf.) (Johann Wolfgang von Goethe, Faust: Der Tragödie zweiter Teil)

 

Ines Zöttl leitet das Team Internationale Politik der FTD.