Pressestimmen zu Raketenschild
"Zeit
der Konfrontation ist vorbei"
US-Präsident
Obama will auf einen Raketenschild in Osteuropa verzichten. Seine Entscheidung sei der Beginn
einer Entspannungspolitik gegenüber Moskau, meinen die Kommentatoren der deutschen Presse
- und sehen eine Chance für ernsthafte Abrüstungsgespräche.
"Leipziger Volkszeitung"
"US-Präsident
Obama hat mit der Abkehr von der Politik der Stärke
seines Vorgängers das Ergebnis
einer Kosten-Nutzen-Analyse
protokolliert, die besagt:
Die Zeit der Konfrontation mit Russland ist
vorbei, die USA können aus Bedrohungsszenarien keinen Nutzen ziehen.
Natürlich ist Obamas Verzicht auf die Pläne weder
Schwäche noch Abkehr von dem erklärten Ziel, Irans Aufstieg zur Atomwaffenmacht zu verhindern. Im Gegenteil: Wer
auf die Atompläne Einfluss nehmen will, muss Irans nationale Interessen in Rechnung stellen, und er kann nicht
permanent dessen engen Verbündeten Russland brüskieren. Auch Obamas Ziel einer
kernwaffenfreien Welt lässt
sich ohne Abrüstung nicht verwirklichen. Bis jetzt wirkte das US-Abwehrsystem jedoch eher als Katalysator
des Ausbaus der Atompotenziale Irans sowie Nordkoreas."
"Schwäbische Zeitung" (Leutkirch)
"Im
Oval Office sitzt neuerdings
ein Mister President, der es versteht, sich
in das hinein zu fühlen, was andere sagen. Obama hat begriffen, welche Ängste der
angepeilte Raketenschild in
Russland auslöst: Noch so ein Vorhaben,
mit dem Amerika
den einstigen Gegner einkreisen wolle. Er hat diese Bedenken
ernst genommen. Fürs Erste setzt
er alles auf die Karte Diplomatie. Bushs alter Plan passt da nicht ins Konzept."
"Nordwest-Zeitung" (Oldenburg)
"Die Erleichterung
ist überall spürbar, in Berlin ebenso wie in Brüssel, Moskau und Washington. Die Ankündigung
von US-Präsident Barack Obama, auf den von Amtsvorgänger George W. Bush geplanten
Raketenschutzschild zu verzichten, gibt der Diplomatie wieder neue Chancen.
Barack Obamas Kehrtwende bietet aber noch
eine weitere Chance: den Einstieg in ernsthafte Abrüstungsgespräche. Der US- Präsident hat diese Vision bereits in zahlreichen Reden angekündigt. Nun können konkrete Gespräche folgen. Das atomare Vernichtungsarsenal der Großmächte reicht Schätzungen zufolge aus, die Welt mehr als zehnmal in Schutt und Asche zu legen. Diesen
Wahnsinn ein Stück einzudämmen, wäre eine wirklich
historische Tat."
"Westdeutsche Zeitung"
(Düsseldorf)
"Wenn
Obama nun den Raketenschild in Polen
und Tschechien, ein Lieblingsprojekt seines Vorgängers
Bush, begraben hat, dann ist dies nicht nur eine gute
Entscheidung. Sie liegt auch in der
Logik der amerikanischen Interessen. Man mag dabei der
offiziellen Begründung, die
iranische Gefahr sei geringer als
zuvor vermutet, glauben oder auch
nicht: Der Verzicht auf das Waffensystem ist vor allem
ein Signal an Moskau, dass Washington die russischen Sicherheitsinteressen ernst nimmt."
"Berliner
Morgenpost"
"Obama hat sich neuen Verhandlungsspielraum
verschafft. Gegenüber dem Iran hat er guten Willen gezeigt.
Außerdem hat der US-Präsident das verkrampfte Verhältnis zu Moskau
wirksam entspannt. Schließlich hat sich Obama auch innenpolitisch den Rücken freier gemacht.
Also nur Gewinner? Nicht ganz. Die Regierungen in Warschau und Prag, die gegen starken Widerstand in ihren Ländern die Stationierung des Schildzubehörs durchsetzen wollten, sind von Obama düpiert worden. Ihr Vertrauen
in Amerikas Verlässlichkeit
ist dadurch nicht gerade gestärkt
worden. Das könnte sich rächen, wenn
Amerika, wie angekündigt, ab 2015 tatsächlich ein ganz neues Raketensystem
in Polen und Tschechien platzieren will.
"Frankfurter
Rundschau"
"Russland
ist ein Partner der USA, den diese nicht abschütteln können. Bis Jahresende
müssen beide sich darauf einigen,
den Komplex der Start-Abrüstungsverträge zu verlängern, wenn sie einen neuen
Hochrüstungswettlauf vermeiden
wollen. Der russische Präsident Dmitri Medwedew hat den Preis genannt. Er lautet:
Verzicht der USA auf besagten Raketenschild, tendenziell Rückkehr zu jenem Grundvertrag
des gegenseitigen Vertrauens,
der ABM heißt und genau den Verzicht auf Raketenabwehrsysteme enthält.
Iran spielt entgegen dem Anschein eher
in der Regionalliga. ... Der Antiraketen-Verzicht ist nicht nur
ein taktischer Zug. Er bedeutet Kurswechsel.
Die Chefs in Moskau sollten
sich nicht der Illusion hingeben, ihre Härte hätte
das bewirkt. Die Europäer aber dürfen hoffen,
dass die gegenwärtige Einsicht in die globale Verantwortung in Washington anhält."
"Sächsische
Zeitung" (Dresden)
"Der
Raketenschild provozierte nicht nur verbalen
Widerstand, sondern auch militärische Gegenmaßnahmen. Die Erfahrung des
Kalten Krieges lehrt, dass nach
solchen Szenarien Rüstungswettläufe in Gang kommen,
die sich nur schwer stoppen lassen. Mit der
Verzichtserklärung zeigt
Obama seinen Willen, das Verhältnis zu Russland
wieder auf eine vernünftige Basis zu stellen. Moskau wäre gut beraten, den Kurswechsel im Weißen Haus nicht
als Triumph zu feiern. Denn die globale Sicherheit ist nach wie
vor bedroht - nicht nur durch
die nuklearen Ambitionen politisch unberechenbarer Regime.
Geeignete Antworten darauf sollten die USA und Russland gemeinsam suchen."
"Fuldaer Zeitung"
"Aus diplomatischer
Sicht muss man den Schritt Obamas begrüßen. Er hat damit die Tür für eine
entspannte und normale Beziehung zu den Russen geöffnet. Jetzt kann man nur hoffen, dass
die strategische Kehrtwende
auch die beabsichtigten positiven Konsequenzen nach sich zieht.
Sonst wird die Situation
des Präsidenten in den USA und in der
übrigen Welt problematisch
und die Bush-Mafia bekommt in Washington wieder Oberwasser."
"Stuttgarter Zeitung"
"Wie
die Enttäuschung in Prag
und in Warschau über den Stopp der Pläne
zeigt, ging es bei den geplanten
Raketen weniger um den Iran
als vielmehr um Russland: Polen und Tschechien haben den privilegierten Schutz der USA gegen die alte Hegemonialmacht gesucht. Als ob von Russland heute eine militärische Gefahr ausginge! Man tut sich in Osteuropa, historisch eingeklemmt zwischen den Mächten Deutschland
und Russland, schwer, in
die Gegenwart zu finden. Das ist angesichts der verhängnisvollen Vergangenheit nur zu verständlich.
Aber deren Schatten dürfen nicht den vernünftigen Umgang miteinander in der Gegenwart stören.