Asyl für Edward Snowden
Von
Thomas Seifert
Das
wäre den Drehbuchautoren
des Spionage-Thrillers mit
Gene Hackman und Will Smith "Staatsfeind
Nummer Eins" nicht eingefallen: Als ein Rechtsanwalt
hinter einen politisch motivierten Mord kommt, wird ihm
der Nachrichtendienst NSA an den Hals gehetzt und er gejagt, wie ein
Schwerverbrecher. So wie
Edward Snowden, der zwar keinen Mord begangen,
dafür aber ein gigantisches Abhörkomplott der USA gegen Nutzer von Google, Facebook und anderen Internet-Diensten und zuletzt sogar gegen Politiker
und diplomatische Vertreter
von EU-Ländern aufgedeckt
hat. Bei "Staatsfeind Nummer Eins" fehlt aber eine
spektakuläre Flucht wie bei Snowden: von Hawaii über Hongkong nach
Russland. Und wozu die Fantasie der Drehbuchautoren
ebenfalls nicht ausreichte, ist die jüngste Wendung in der Saga: eine Drohung des russischen Präsidenten mit dem Inhalt, dass
der Whistleblower aufhören soll, "mit seiner Arbeit unseren amerikanischen Partnern zu schaden" und er dann in Moskau
um Asyl ansucht. Die Snowden-Affäre ist für
Freunde des Thriller-Genres durchaus
spannend, die politischen Folgen schwerwiegend: Da wäre erstens
die traurige Erkenntnis, dass die USA Europa offenbar als Feind
betrachten. Denn Freunde oder Alliierte
spioniert man nicht auf derart schamlose Art und Weise aus, dass sogar
Politiker aus EU-Ländern angezapft werden. Und die Konsequenzen für die transatlantischen Beziehungen werden auf längere Sicht wohl
ernster sein als das Einbestellen der US-Botschafter zum Rapport. Europa muss im transatlantischen Handelsabkommen - das nach den jüngsten Enthüllungen zur Disposition steht - auf absolut wasserdichten Datenschutz beharren.
In
einer Welt, die von imperialen
Machtblöcken wie den USA,
China und Russland dominiert
wird, haben die europäischen Länder nur dann eine
Chance sich zu behaupten, wenn sie zusammenarbeiten und sich von den USA auch militärisch und nachrichtendienstlich
unabhängig machen. Erst recht, wenn
die USA in der Causa
Snowden mit Russland offenbar mehr gemein
haben als mit den um ihre Privatsphäre besorgten Europäern. Europa hätte Snowden Asyl anbieten müssen - das wäre die geeignete Antwort auf den Angriff Amerikas auf Europas Interessen gewesen. Dass ausgerechnet Russland Asylland für Snowden werden könnte, ist eine
weitere Skurrilität im bizarren Snowden-Thriller.