Gemeinsam gegen Putin

 

Ein Kommentar von Ulrich Schäfer

 

Manchmal hat eine Krise auch ihr Gutes, manchmal setzt sie positive Entwicklungen in Gang, die es andernfalls nicht gegeben hätte. Die Finanzkrise ist - bei allem Unheil, das sie angerichtet hat - solch eine Krise: Die Politiker in Europa nahmen sie zum Anlass, die Banken strenger zu regulieren und eine Bankenunion zu schaffen, ein Regelwerk also, das künftige Krisen dieser Art möglichst klein halten soll. An diesem Regelwerk ist manches mangelhaft, und doch ist es besser als das, was vorher galt. Nicht ganz zu Unrecht sprechen manche Politiker vom größten Integrationsschritt, den Europa seit dem Vertrag von Lissabon vollzogen hat.

 

Nun hält die nächste Krise Europa im Griff, und wieder könnte sie Anlass sein, dass sich die 28 Staaten der Europäischen Union bessere Regeln geben. Der Auslöser dafür ist der Kampf um die Ukraine. Seit Wladimir Putin die Krim annektiert hat, und erst recht, seit er auch nach dem Osten der Ukraine greift, wächst in Westeuropa die Furcht, dass er in seinem Streben nach Macht nicht bloß vermummte Schergen einsetzen, sondern den EU-Staaten (vor allem jenen im Osten) den Gashahn zudrehen könnte.

 

Donald Tusk, Ministerpräsident von Polen, hat deshalb am Dienstag vorgeschlagen, dass sich die EU langfristig für solche Krisen wappnen und analog zur Banken-Union auch eine Energie-Union schaffen solle. Denn, so schreibt er in der Financial Times: "Die exzessive Abhängigkeit von Russlands Energie macht Europa schwach."

 

Pläne für den drohenden Engpass

 

Die Idee einer Energie-Union ist prinzipiell nicht schlecht. Denn es ist schon aberwitzig, dass der europäische Einigungsprozess 1951 nicht zuletzt von gemeinsamen Interessen in der Energiepolitik angetrieben wurde und damals als erstes die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl entstand, die sogenannte Montanunion - und dass heute, mehr als sechs Jahrzehnte später, dennoch auf kaum einem anderen Feld so viel Nationalismus und Uneinigkeit in Europa herrscht wie in der Energiepolitik.

 

So haben die Europäer längst einen gemeinsamen Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen geschaffen - aber keinen für Energie. Für Reisende und Arbeitskräfte sind die Schlagbäume gefallen, es herrscht Freizügigkeit - aber Energie, vor allem Strom, kann nicht ohne weiteres die Grenzen passieren, weil die Mitgliedsstaaten ihre Energiemärkte nach wie vor gegen Eindringlinge abschirmen. Brüssel versucht zwar, mit seinen Richtlinien die Energiepolitik in eine gemeinsame Richtung zu lenken, aber letztlich gibt es keine über 28 Staaten hinweg koordinierte Strategie der Energiesicherung und Energieversorgung.

 

Auch der Vorstoß von Donald Tusk wird hieran nur teilweise etwas ändern, denn er greift zu kurz. Er hat im Wesentlichen nur zum Ziel, dass die EU-Staaten künftig nicht mehr einzeln, Land für Land, mit Gazprom über die Lieferung von Gas verhandeln, sondern gemeinsam. Das gibt Europa mehr Einkaufsmacht. Im Fall eines erneuten Engpasses wie 2009, als Russland den Gashahn zugedreht hatte, sollen sich die EU-Staaten zudem gegenseitig mit ihren Reserven unterstützen, fordert Tusk. Auch soll das Pipeline-Netz in Europa so ausgebaut werden, dass Gas nicht bloß von Ost nach West, sondern auch von West nach Ost gepumpt werden kann - vor allem in jene zehn Länder, die noch zu hundert Prozent von russischem Gas abhängig sind.

 

All dies ist sinnvoll, all dies sollten die Europäer angehen. Doch eine gemeinsame Energiepolitik muss weitaus mehr leisten. Sie muss dafür sorgen, dass die EU-Staaten ihre Energiemärkte nach innen hin vollständig für den Wettbewerb öffnen; sie muss dafür sorgen, dass die Abkehr von der Atomkraft und von der Kohle wirklich als gemeinsame Aufgabe verstanden wird; und sie muss dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien wirklich überall konsequent ausgebaut werden (wenn auch nicht so überstürzt wie in Deutschland). Aber eine Energie-Union kann nicht dazu dienen, dass einzelne Staaten - so wie es Tusk fordert - weiter in hohem Maße auf nur einen Energieträger setzen, so wie es Polen mit Kohle oder Großbritannien mit Atomkraft tut.

 

Was Tusk fordert, ist letztlich nur eine gemeinsame Energie-Außenpolitik. Ein gemeinsamer Energie-Binnenmarkt erfordert dagegen mehr - vermutlich mehr, als manche Staaten zu gehen bereit sind. Am Ende könnte sich daher auch in der Energiepolitik die Frage stellen, ob nicht wie bei der Währungsunion oder beim Schengen-Raum eine Koalition der Willigen vorweg geht, ohne auf die Bremser und Blockierer zu warten. Auch das würde dabei helfen, die Abhängigkeit gegenüber Russland zu verringern.