Keine Lust auf strategische Vorgärten
24.
März 2014
Von
Hubert Wetzel
Vorigen Sommer, als Barack Obama Europa besuchte, war es so heiß, dass er
sein Jackett auszog und die Ärmel hochkrempelte, bevor er am Brandenburger Tor seine Rede hielt - dort,
wo einst die Mauer Deutschland und den Kontinent
teilte. Wenn der US-Präsident an diesem Montag in Europa landet, empfängt ihn ein
Eishauch. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten hat ein Staat in Europa einem anderen mit
Gewalt ein Stück seines Territoriums weggenommen; zum ersten Mal seit Jahrzehnten ist Russland wieder eine Bedrohung für den Westen. Obama kommt dieses Mal in ein frostiges Europa, das wieder geteilt ist.
Man
muss nicht gleich von einem zweiten Kalten
Krieg reden. Im ersten, echten Kalten Krieg ging es um Leben und Tod für Millionen
Menschen. Heute werden sich Amerika
und Russland keine vergleichbare Auseinandersetzung liefern, die am Ende die ganze Welt erfasst. Dazu ist die Beute
der Russen - die Krim - zu klein
und das Opfer des Raubes,
die Ukraine, zu wenig im Westen verankert.
Doch man sollte sich auch nichts
vormachen: Die Annexion war
eine Botschaft des russischen Präsidenten Wladimir Putin an die USA und Europa.
Er will den Respekt, den Russland vermeintlich verdient und den der Westen ihm angeblich
nicht zollt, notfalls gewaltsam erzwingen.
Diese Aggressivität
hat den Westen unvorbereitet
getroffen. Die Europäer waren in den letzten Jahren mit der
Rettung ihrer Währung und ihrer Union beschäftigt. In den USA kümmerte sich Obama vor allem um Innenpolitik. Wenn es um Äußeres
ging, dann um Chinas Aufstieg, um Irans Atomprogramm, den Krieg in Syrien,
die arabischen Aufstände oder die Abrüstung von Atomwaffen - Probleme, bei deren Lösung
das Weiße Haus auf die Zusammenarbeit mit Moskau hoffte (und immer noch hofft).
Zwar wusste man, dass der Mann im
Kreml der verstorbenen Sowjetunion nachtrauerte. Aber man hätte nicht geglaubt,
dass er eine
Reanimation versuchen würde.
Europa war aus amerikanischer Sicht abgehakt, eine Weltregion, um die sich die USA nicht mehr als
Schutzmacht kümmern mussten.
Ob
die USA und Europa Putins Herausforderung annehmen, ist noch unklar.
Bisher sind die Strafen des Westens eher verhalten - ein paar Gespräche
wurden abgesagt, einige Konten eingefroren;
Putins Vertraute dürfen nicht einreisen.
Am Rande einer Atomkonferenz in Den Haag treffen
sich die führenden Industriestaaten der Welt diese Woche in ihrer alten Formation, als G7. Das achte Mitglied Russland fehlt. Doch alle
wissen: Das bisschen Druck wird Putin nicht umstimmen.
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Zwar sind die USA noch einen Schritt
weitergegangen und haben auch eine Petersburger
Bank mit Sanktionen belegt. Wirkungsvoll wäre es tatsächlich,
Russlands Unternehmen vom amerikanischen Finanzmarkt abzuschneiden. Aber die Wahrheit ist (und auch das wissen alle, einschließlich
Putin): Die Krim ist verloren. Und solange sich Russland keine
weiteren Gebiete seiner Nachbarstaaten einverleibt, wird der Westen
vor der großen
Konfrontation mit Moskau zurückschrecken. Ob es so weit kommt
- darüber kann nun Putin entscheiden.
Es
ist kein Kriegsrat, zu dem
die G-7-Länder zusammentreten, sondern
ein Treffen der Ratlosen, der
Überrumpelten. Für etliche europäische Länder, darunter Deutschland, steht wirtschaftlich viel auf dem Spiel, gingen sie Russland
wirklich hart an. Und Obama empfindet
das Denken in Einflusssphären,
in strategischen Vorgärten
und Hinterhöfen ohnehin als staubig und überkommen. Die USA werden die Nato-Mitglieder in Osteuropa verteidigen. Aber die Ukraine?
Wenn die bisherige
Amtszeit Obamas eine Erkenntnis gebracht hat, dann diese: Nichts scheut
der Präsident so sehr wie die Verwicklung
in fremde Händel. Obama sieht Amerika nicht
als Weltpolizisten, die Rettung von Detroit ist ihm wichtiger als
die Rettung von Donezk.
Obama ist kein Oberbefehlshaber, der Divisionen in ferne Schlachten entsendet. Er schickt seinen
Gegnern eine Drohne. Die zivile Variante davon ist die Kontensperrung.
Barack
Obama kommt also nicht als der große
Schutzpatron nach Europa. Die Wut in Washington über Putins dreisten
Landraub entspringt weniger geopolitischen Überlegungen. Obama ist verärgert, weil der Russe wieder
mal querschießt und ihm ein Problem aufhalst, das nicht in sein politisches
Kalkül passt. Obama ist kein John F. Kennedy, der bereit ist,
"jeden Preis zu bezahlen, jede
Last zu tragen", um
die Freiheit in Europa zu verteidigen. Sewastopol im Jahr
2014 ist nicht Berlin im Jahr 1961.
Das
ist beruhigend, aber auch ernüchternd:
Einen Krieg um die Krim wird es nicht
geben. Freiheit für die Krim aber
so schnell auch nicht.