Frankfurt,
Hauptstadt der US-Spione
19.
November 2013
Geheimer
Krieg
Von hier aus
werden Geheimgefängnisse geplant, Entführungen organisiert und auch mal Pferde
nach Afghanistan geliefert. Das US-Generalkonsulat in Frankfurt ist eine der größten
CIA-Niederlassungen der Welt. Recherchen im Zentrum der US-Spionage in
Deutschland.
Von
Christian Fuchs, John Goetz, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer und Tanjev
Schultz
Man
ist nervös rund ums Frankfurter US-Generalkonsulat, schon klar. Aber ist es
wirklich verdächtig, wenn jemand hier entlangschlendert, und ab und an
vielleicht sogar stehen bleibt? Oder, anders gefragt, ist es so verdächtig,
dass gleich zwei Polizeiwagen und die schwarz uniformierten US-Sicherheitsleute
gebraucht werden? Wirklich?
Man
findet das Konsulat im Frankfurter Norden, in einem Gebäude, in dem ehemals das
größte amerikanische Lazarett Europas untergebracht war. Heute gleicht das Haus
eher einer Festung: hohe Mauern, Stacheldraht, Panzersperren, Kameras und
Männer mit Maschinenpistolen, die gemessenen Schrittes patrouillieren. Dann
stoppen auch schon die Polizeistreifen: "Was wollen Sie hier?",
fragen die Beamten. Die amerikanischen Sicherheitsmänner gesellen sich dazu.
Andererseits:
Es ist kein Wunder, dass man nervös ist hier. Das Generalkonsulat spielt eine
besondere Rolle im weltweiten NSA-Überwachungsskandal und eine tragende, was
Deutschland angeht. Hier, mitten in Frankfurt, soll eine Einheit des
"Special Collection Service" sitzen, jener gemeinsamen Einheit von
NSA und CIA, die unter anderem in Berlin das Handy von Kanzlerin Angela Merkel
ausspioniert haben soll. Das geht aus einem Dokument aus dem Fundus des
Whistleblowers Edward Snowden hervor.
Die
Erkenntnis, dass im Frankfurter US-Generalkonsulat Agenten operieren, hatte
offensichtlich - lange vor der Handyaffäre - auch die Bundesregierung. Anders
lässt es sich kaum erklären, dass der Verfassungsschutz im August einen
Hubschrauber im Tiefflug über dem Gelände kreisen ließ, um hochauflösende Fotos
zu machen. Mit Hilfe dieser nach diplomatischem Maßstab bemerkenswert
aggressiven Aktion wollten die Verfassungsschützer offenbar herausfinden, ob
sich, ähnlich wie man es bei der Berliner US-Botschaft vermutet, eine
Abhöranlage auf dem Dach befindet. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums
sagt, "einzelne Liegenschaften bestimmter ausländischer Staaten"
würden "routinemäßig oder anlassbezogen vom Verfassungsschutz aus der Luft
begutachtet", und zwar im Rahmen der "Spionageabwehr". Eine
eindeutige Ansage.
Spionageabwehr
- das Wort lässt wenig Raum für Interpretationen. Dabei klingt
"Generalkonsulat" ja eher nach rauschenden Bällen, feierlichen
Begrüßungsreden oder auch nach Leuten, die Pässe ausstellen oder Visa erteilen.
Es klingt nicht nach einem Ort, von dem aus Entführungen gesteuert werden, an
dem die Logistik für Geheimgefängnisse geplant wird, oder der als Tarnanschrift
für CIA-Operationen und als Büroadresse von Secret-Service-Agenten fungiert.
Aber noch vor wenigen Wochen hätte man ja auch keine heimliche Abhörstation in
einer Botschaft vermutet.
Das
amerikanische Generalkonsulat in Frankfurt ist mit seinen etwa 900 Mitarbeitern
nicht nur das größte weltweit, es ist auch eine der größten Niederlassungen des
in Langley beheimateten CIA außerhalb Amerikas. Frankfurt ist Amerikas deutsche
Geheimdiensthauptstadt. Hier arbeiten CIA-Agenten, NSA-Spione,
Militärgeheimdienstleute, das US-Heimatschutzministerium und der Secret
Service. In einem Umkreis von etwa 40 Kilometern um die Stadt haben die
Amerikaner zudem ein dichtes Netz von Außenposten und Tarnfirmen angesiedelt.
Aber die Zentrale ist, nach allem, was man weiß, das amerikanische
Generalkonsulat. Alles topgeheim? Geht so. Selbst die Polizisten rund um das
Konsulat sagen einem offen, dass CIA-Leute da drin sitzen.
Man
würde darüber gerne mit dem US-Generalkonsul reden, Erklärungen hören. Doch der
Generalkonsul, heißt es, sei die nächsten Wochen leider nicht zu sprechen. Auch
ein Besuch im Konsulat könne leider nicht stattfinden. Dabei gäbe es weit mehr
zu besprechen als nur die NSA-Problematik, und mehr zu bestaunen als nur das
Hauptgebäude. Rechts vom Haupteingang des Konsulats gibt es eine weitere
Einfahrt, ebenfalls bewacht von bewaffneten Männern, am Tor steht
"Warehouse". Hier fahren alle paar Minuten Lastwagen vor, Wachmänner
kontrollieren mit Spiegeln die Fahrzeugunterböden nach Sprengsätzen. Erst dann
dürfen sie passieren. Die Lkws werden zu einem großen Flachbau dirigiert, davor
parken schwere Pickups, dahinter warten extra gesicherte Überseecontainer auf
den Abtransport. Hier operiert die größte US-Logistikzentrale außerhalb
Amerikas, von hier organisieren Militär, CIA und andere Dienste den Nachschub
ihrer Einheiten in weiten Teilen der Welt.
Von
hier werden Agenten in Afghanistan und Pakistan versorgt, und wohl auch in
Jemen und Somalia. Mit gewöhnlichen Gebrauchsgegenständen, aber auch mit recht
Außergewöhnlichem: Als die CIA in Afghanistan Spezialaufträge zu erledigen
hatte, wurden von Frankfurt aus Pferde samt Sattel und Futter eingekauft, so
erzählte es ein ehemaliger CIA-Deutschland-Chef. Das "Frankfurt Regional
Support Terminal" beschaffte, was auch immer gebraucht wurde. Selbst wenn
es um heiklere Aufträge ging: Als die Amerikaner nach den Anschlägen vom 11.
September 2001 mit allen Mitteln versuchten, die Hintermänner zur Rechenschaft
zu ziehen, ging ein besonders schwieriger Auftrag nach Frankfurt.
Am
Dagger-Complex recherchieren? "In Guantanamo ist noch eine Zelle
frei"
Der
langjährige CIA-Mann Kyle Foggo, Spitzname "Dusty", sollte für die
CIA drei Geheimgefängnisse planen. In diesen "Black Sites", den
"schwarzen Orten" verhörte die CIA viele hochrangige
Terrorverdächtige. Von Frankfurt aus sorgte Foggo dafür, dass die Verhörkabinen
immer gleich aussahen, egal ob sie in Rumänien, Marokko oder Polen standen:
Sperrholzwände, rutschfester Boden, ein Plastikstuhl. Gleiche Anmutung, gleiche
Größe. Die Gefangenen sollten nicht erkennen, in welchem Land und in welchem
Gefängnis sie gerade waren - das machte es später schwerer, der CIA
Menschenrechtsverletzungen nachzuweisen. Nur die Utensilien fürs Waterboarding
- ein langes Brett, auf das die Opfer geschnallt werden, ein Eimer für das
Wasser, ein Tuch, damit der Gefolterte nicht wirklich ertrinkt - wurden nicht
aus Frankfurt geliefert, sondern vor Ort zusammengesucht. Foggo, der Mann, der
all das organisierte, war damals offiziell dem Frankfurter US-Generalkonsulat
zugeordnet.
Frankfurt
spielt in der Geheimdienstarchitektur der Amerikaner eine herausragende Rolle,
oder, etwas weiter gefasst: der Großraum Frankfurt. Viele Schlüsselorte sind
hier zu finden. Zum Beispiel der geheimnisumwitterte "Dagger-Complex"
bei Darmstadt-Griesheim. Dort, abgeschieden hinter einem Wäldchen gelegen, soll
der Nachrichtendienst der US-Armee sitzen, der militärische Arm der
Spionagetruppe NSA: das United States Army Intelligence and Security Command
(INSCOM). Außerdem hier: die NSA-Leute vom "European Cryptologic
Center", dem "größten Analyse- und Produktionsstandort in
Europa", so steht es jedenfalls in einem NSA-Bericht aus dem Jahr 2011.
Millionen von Daten werden hier von den mehr als 200 Mitarbeitern gefiltert,
sortiert, falls notwendig entschlüsselt und anschließend bewertet, unter
anderem mit der durch die NSA-Affäre bekannt gewordenen Analysesoftware
"XKeyscore".
Von
außen ist dem Gelände nicht anzusehen, dass hier in den vergangenen Jahren
etliche Millionen Dollar investiert wurden. Nur die Lüftungsschächte lassen
erahnen: Der wichtigste Part des Dagger-Complex, die sogenannte Ice Box, liegt
unter der Erde. Von dort aus wird überwacht und abgefangen, seit die
amerikanischen Spione 2004 aus dem oberbayerischen Bad Aibling hierher gezogen
sind. Seitdem ist Hessen noch wichtiger geworden für die Amerikaner, denn auch
wenn die öffentliche Aufregung über das Ausspähprogramm jetzt groß ist - es
wird in Zukunft wohl nicht weniger wichtig werden.
Man
hat das Gelände längst verlassen, da meldet sich die Polizei telefonisch: Was
man am Dagger-Complex zu suchen gehabt hätte? Man erklärt: Recherche.
Freundlich-scherzhaft sagt der Polizist, in Guantanamo sei noch eine Zelle
frei.
1500
US-Geheimdienstprofis sollen im Dreischichtbetrieb arbeiten
Bald
werden die Amerikaner ihre deutschen Helfer in Darmstadt nicht mehr brauchen.
Der Standort soll geschlossen und die Mitarbeiter in die Wiesbadener Lucius D.
Clay-Kaserne umgesiedelt werden. Dort werden sie auf Kollegen von der NSA und
INSCOM treffen, es ist deren Hauptsitz. Klingt nach einem Ort, den man sich
genauer anschauen sollte. Aber ein Besuch? Ist leider gerade nicht möglich, so die
Auskunft, ebenso wenig wie ein Telefoninterview.
Mehr
erfährt man in der US-Datenbank für Staatsaufträge: Demnach entsteht hier für
124 Millionen Dollar ein Hightech-Kontrollzentrum für geheimdienstliche
Auswertung. Zum Bau zugelassen: nur sicherheitsüberprüfte US-Firmen. Knapp
12.000 Quadratmeter sind eingeplant, in dem dann wohl mehr als 1500
"Intelligence Professionals", also Geheimdienstprofis, im
Dreischichtbetrieb arbeiten werden.
Das
deutsche Herz des US-Überwachungswahns wird in Hessen schlagen. Warum hier?
Darauf gibt es viele Antworten: die zentrale Lage, die vielen gewachsenen
US-Standorte, der Großflughafen. Vielleicht auch einfach, weil Hessen schon
lange amerikanischer ist als der Rest der Nation. Traditionell befindet sich
ein Großteil der in Deutschland stationierten US-Soldaten in Hessen. Auf der
Rhein-Main Air Base wachten während des Kalten Krieges 100.000 Soldaten, aus
Wiesbaden organisierten sie 1948 die Luftbrücke nach Berlin, von hier aus
starteten Aufklärungsflüge über die UdSSR, von hier flogen Tausende in den
Golfkrieg oder nach Afghanistan.
Die
meisten Militärflüge werden mittlerweile über den nahen US-Flugplatz Ramstein
abgewickelt. Dort wurde 2003 auch der Islamist Abu Omar umgeladen, den
CIA-Agenten zuvor in Mailand entführt hatten. Omar wurde nach Ägypten
geschafft, wo er für mehr als ein Jahr in einem Foltergefängnis verschwand. 23
US-Agenten wurden später in Italien in Abwesenheit zu mehrjährigen Haftstrafen
verurteilt - ein eher symbolischer Triumph des Rechtsstaats: Die USA haben die
Agenten selbstverständlich nicht ausgeliefert. Geplant wurde die Entführung
unter anderem in Frankfurt. Die Ermittler folgten den Spuren bis in ein
Frankfurter Hotel, zu einer ominösen Spedition am Flughafen sowie: dem
Generalkonsulat.
Hier
laufen die Fäden zusammen, an deren Enden man auf fast alle US-Geheimdienste
stößt, die hierzulande operieren. Deren Mitarbeiter entscheiden am Frankfurter
Flughafen mit, wer überhaupt in ein Flugzeug steigen darf und wer nicht.
Offiziell geben sie allerdings lediglich "Empfehlungen".
Aus
ihrem Büro im Flughafen Frankfurt sind die Heimatschutz-Männer offenbar
umgezogen in die Clay-Kaserne in Wiesbaden. Dorthin, wo die Agenten der NSA und
die Militärspione von der INSCOM beieinander sitzen und wo bald auch die
Analysten aus dem Dagger-Complex einziehen werden. Jetzt würden nur noch die
Leute vom Secret Service fehlen. Auf den Visitenkarten allerdings, die zwei
Special Agents präsentierten, als sie am Frankfurter Flughafen einen estnischen
Hacker festsetzten, stand allerdings eine andere Adresse: U.S. Secret Service,
Frankfurt Resident Office, Gießener Straße 30. Die Adresse des
US-Generalkonsulats.