Obamas heile Welt
19.
Juni 2013
Weniger Atomwaffen.
Das ist schon das Konkreteste, was der US-Präsident in seiner Rede in
Berlin zu bieten hat. Weil
Obama aber seinen Charme spielen lässt, wird er
vom Publikum bejubelt. Das zeigt zweierlei: Die deutsch-amerikanische
Freundschaft kann mit wenig Einsatz
und viel Routine beschworen
werden. Und allzu viel Optimismus hat Obama nicht für Europa
übrig.
Eine Analyse von
Matthias Kolb, Berlin
Die
Messlatte für Barack Obama ist nicht besonders
hoch, als er ans Pult
vor dem Brandenburger
Tor trat. Zuvor hatten Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Kanzlerin Angela Merkel zu den
4500 Zuschauern geredet und
erneut bewiesen, dass sie ihre
Ämter ohne funkelnde Rhetorik errungen haben. Wowereit hatte wenig inspirierend über die deutsch-amerikanische Freundschaft gesprochen und von Merkels Worten wird nur in Erinnerung
bleiben, dass sie den mächtigsten Mann der Welt duzte und ihn mit einem
"Not yet" zurück in seinen
Stuhl beorderte.
Als Obama endlich
reden darf, fällt es ihm
nicht schwer zu glänzen. Der
US-Präsident gibt den Show-Man, legt in der Hitze sein
Jackett ab und wünscht sich, mit
92 so gut auszusehen wie
Colonel Halvorsen. Der flog
1948 einen "Rosinenbomber"
und sitzt als Ehrengast im Publikum.
Wer sich selbstironisch gibt, Anekdoten erzählt und die
Berliner für ihren Kampf für die Freiheit
lobt, der kriegt viel Applaus.
Die
Geschichte ist immer präsent
Die
Luftbrücke bleibt nicht der einzige
Verweis auf die deutsche Geschichte in der 28-minütigen Rede. Obama spricht über den Aufstand des 17. Juni 1953, den Philosophen Immanuel Kant und das "Land der Dichter und Denker". Die Herausforderung,
Kennedys "Ich bin ein
Berliner" zu überbieten,
nimmt Obama gar nicht erst an - sondern zitiert den Spruch. Der 44. US-Präsident erinnert vielmehr daran, dass der
35. Präsident stets darauf aus war, die Menschen voranzutreiben. Das schwingt im bekannten "Frage nicht, was dein Land für dich
tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst"
mit und in einem weiteren Zitat aus der Rede
vor dem Schöneberger
Rathaus im Juni 1963: "Hebt Euren Blick auch
über die Aufgaben von heute hinaus."
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Hier hätte Obama eine Chance gehabt, aus dem Routine-Modus auszubrechen, der den ganzen Auftritt auf dem Pariser Platz
durchzieht. Denn die mit Spannung erwartete
Rede ist eben vor allem
eins: routiniert. Wenn Obama mehr als zwanzig Jahre
nach dem Mauerfall die "Selbstgefälligkeit"
der Europäer anspricht, dann teilt er den Partnern
eine in Washington weit verbreitete Meinung mit. Die Zukunft liegt in den jungen Gesellschaften in China, Indien oder Südostasien - und eben nicht bei
den immer älter werdenden Europäern, die vor allem den Status Quo bewahren wollen.
Obama,
der glänzende Rhetoriker, unterlässt es, die Zuschauer in Berlin zu mehr Optimismus
zu ermuntern. Er hätte genauer
erklären können, was viele Amerikaner an Europa verwundert und dass sich Veränderungen
auch als Herausforderung und nicht nur als Bedrohung
ansehen lassen. Stattdessen bleibt Obama lieber vage und liefert so wenig Angriffsfläche. Das Publikum stört Obamas Reise
ins Abstrakte nicht, es ist bereit,
dem Präsidenten zuzujubeln.
Zu Prism nur Bekanntes
Er will dafür kämpfen, das Gefangenenlager auf Guantànamo zu schließen
und sich dafür einsetzen, den Klimawandel
("die Bedrohung unserer
Zeit") zu bekämpfen. Homosexuelle sollten nicht länger
diskriminiert werden und Mädchen die gleichen Chancen haben wie
Jungen. Die Welt und der Westen dürften nicht ruhen, solange
die Freiheit der Welt durch die Existenz von Atomwaffen bedroht werde. Deswegen will er versuchen, Wladimir
Putin davon zu überzeugen, dass Russland und die USA ihr Arsenal
an Nuklearsprengköpfen um ein
Drittel reduzieren. Das ist dann schon
auch das Konkreteste, was
Obama zu verkünden hat.
Auch beim Spähprogramm Prism oder dem Drohnen-Einsatz, also jenen Themen, die in Europa zuletzt für Verstimmung sorgten, wiederholt Obama Bekanntes. Es gebe strenge Regeln, die eingehalten würden. Wie schon in einer
Pressekonferenz im Kanzleramt betont Obama, dass er für
eine Balance zwischen dem Bedürfnis nach
Privatsphäre und der Garantie von Bürgerrechten einerseits und dem Schutz der Bürger
und der Terrorbekämpfung andererseits sorgen werde. Seine Botschaft: "Vertraut mir, ich
sorge dafür, dass nichts aus
dem Ruder läuft."
Dass sich ein Gefühl der
Enttäuschung bereits in jenem Moment einstellt, als Barack Obama in die Menge winkt und mit dem
über die Schulter geworfenen Jackett an der Seite von Merkel und Wowereit die Bühne verlässt, liegt an einer anderen Messlatte.
Die hatte Obama in früheren
Jahren, etwa bei seinem Auftritt
vor der Siegessäule
2008, in ungeahnte Höhen gelegt. Seitdem hat er viele Versprechen
unerfüllt gelassen und viele Menschen weltweit enttäuscht. Das ist unzählige Male beschrieben worden.
Doch dass es dem einstigen
Hoffnungsträger nun genügt,
der geschätzten
"Angela" schöne Bilder
für deren Wahlkampf zu liefern
und auch dem heimischen Publikum zu beweisen, dass
die Berliner Amerika noch schätzen, stimmt etwas traurig. Der in diesen 25 Stunden seines Besuchs so oft beschworenen deutsch-amerikanischen
Freundschaft hätte es gut getan, wenn
Obama etwas weniger routiniert aufgetreten wäre und mehr Denkanstöße
geboten hatte.