Wieso der Westen den Konflikt eskalieren muss
26.04.2011
Kommentar von Stefan Kornelius
Wie soll dieser
Krieg nur enden? Die Nato-Nationen verlängern den Konflikt in Libyen künstlich, halten das Patt
zwischen Gaddafi und den Rebellen
aufrecht - aus Furcht vor einer
unpopulären Entscheidung. Doch Furcht ist ein schlechter
Ratgeber.
Als der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen am 17. März die Libyen-Resolution verabschiedete, war die Weltgemeinschaft
getrieben von der Angst vor einem zweiten
Srebrenica. Dort, im bosnischen Srebrenica, schauten im Juli 1995 vornehmliche
niederländische Blauhelmsoldaten
zu, wie eine
bosnisch-serbische Soldateska
bis zu 8000 muslimische Männer und Jungen verschleppte und massakrierte. Srebrenica ist zum Inbegriff geworden
für die Seelenqualen der Weltgemeinschaft, wenn sie wieder
einmal einen Massenmord in einem der Kriege in der
Welt beobachtet - obwohl sie eigentlich auch helfen könnte.
Mit
der Libyen-Resolution wurde der Vormarsch
der Gaddafi-Truppen in Ostlibyen gestoppt und ein Srebrenica in der zweitgrößten Stadt des Landes, in Bengasi, verhindert. Jetzt finden die Gräuel dennoch statt, in der Stadt
Misrata, der drittgrößten Libyens. Hunderte Granaten und Raketen schlagen täglich im Zentrum
ein, das einer Ruinenlandschaft gleicht. In einem zynischen Spiel um die Launen der Öffentlichkeit verkündet der Vize-Außenminister
in Tripolis zwar einen Rückzug, um den lokalen Stämmen die Regelung der Angelegenheiten
zu überlassen. Das Manöver dient
aber wohl dazu, die Stämme in die Auseinandersetzung zu ziehen und tatsächlich einen Krieg der
Ethnien anzufachen - der bisher ausgeblieben
ist. Gaddafi lässt in Tripolis Gewehre ausgeben und ist wohl
entschlossen, das Land auf breiter Front in den Abgrund zu stoßen.
Wer in Libyen in welcher Stärke kämpft und wie lange die Nation noch ausbluten wird, ist kaum
zu durchschauen und zu ermessen. Einmal
triumphieren die Aufständischen,
dann zeigt Gaddafi wieder seine brutale Natur. Der libysche Krieg wird nicht
schnell beendet sein, weil
keine Seite wirklich stärker ist als die andere.
Die Rebellen werden Tripolis nicht einnehmen können, genauso wenig wie
Gaddafi Bengasi stürmen wird. Es herrscht ein militärisches Patt, so lautet das Urteil des amerikanischen Generalstabschefs
Mike Mullen. Wie also soll das Ganze enden?
Die Nato und viele arabische Staaten können nicht so tun, als wären
sie nicht Partei in diesem Krieg; das sind
sie längst. Die Regierungschefs Cameron, Obama, Sarkozy und selbst Angela Merkel haben den Sturz Gaddafis zum Ziel erklärt.
Kuwait gibt viel Geld für diesen Zweck,
Katar sogar Flugzeuge. Eine Zukunft mit Gaddafi ist weder
für sie noch
für den Rest der Welt vorstellbar. Mit diesem Mann wird man keinen Frieden schließen können. Welches Potential sein Regime entwickeln kann, hat erst am Sonntagabend ein Sprecher Gaddafis klargemacht, der terroristische Racheakte in Aussicht stellte. Während der Westen also längst Partei ist,
tut er noch
immer so, als ginge ihn der
Krieg nur aus der Entfernung
etwas an. Das Weiße Haus schickt
Drohnen und versteigt sich in der Analyse,
dass dies der Moment für eine erzieherische
Maßnahme sei: Die europäischen Verbündeten hätten sich gefälligst
selbst um ihren Hinterhof zu kümmern
- ganz so, als könne ein Präsident
Obama die Verantwortung über
Nacht schrumpfen, die sein Land über Jahrzehnte behauptet hat. Obama spielt leichtsinnig mit Amerikas Anspruch
und mit den Hoffnungen vieler.
Eine gute Handvoll
Nato-Nationen fliegen Luftangriffe, aber lediglich wohldosiert. Damit halten sie
das Patt künstlich aufrecht - mehr aber auch
nicht. Sie verlängern den Krieg, der ohne ihr
Eingreifen längst entschieden wäre; aber sie entscheiden
ihn ebenso wenig für sich
oder die Aufständischen,
zu deren Gunsten sie intervenieren.
Dahinter verbirgt sich keine Strategie,
sondern vor allem Furcht vor
einer unpopulären Entscheidung, ein bisschen auch vor
den arabischen Nachbarn Libyens und natürlich vor den militärischen Ungewissheiten. So ergibt sich eine politische
Planlosigkeit, für die die Menschen in Misrata einen Preis
zahlen - sie zahlen häufig mit
ihrem Leben.
Drei Möglichkeiten bleiben: Erstens könnte der Westen
den Einsatz abbrechen. Damit bliebe Gaddafi wohl an der Macht
und das Gemetzel würde noch schlimmer.
Diese Option kann niemand wollen. Zweitens könnte der Krieg noch
eine Weile lang weiter
simmern. Gaddafi gehen dann vielleicht die Waffen aus, der
Aufstand könnte sich wie ein
Kabelbrand nach Tripolis durchfressen - vielleicht, vielleicht auch nicht. Dieser
Zustand kann noch lange
anhalten, der Westen wird dieses zynische Geduldsspiel nicht durchhalten. Die dritte Option heißt Eskalation. Die Nato
muss Schutzzonen für die Zivilbevölkerung am Boden einrichten und so zeigen, dass sie so zumindest
partiell für eine Befriedung sorgen kann.
Die Einrichtung
von Schutzzonen wäre ein deutliches militärisches und politisches
Signal, sie wäre genau jene Botschaft,
welche die Gaddafi-Gegner im Land brauchen, um glaubhaft Sicherheit vor dem unberechenbaren
Diktator zu bekommen. Das UN-Mandat verbietet die Besetzung Libyens - Schutzzonen sind
aber keine Besatzungszonen. Schutzzonen sind kampffreie
Enklaven, die den Spielraum
Gaddafis einengen und vor allem eine
unmissverständliche Botschaft
parat halten: Der Diktator wird diesen
Krieg nicht gewinnen.