Wenn Italien in Amerika liegt
07.02.2011
von Thomas Fromm
Gerade in der Globalisierung
gilt: Große Weltkonzerne brauchen regionale Wurzeln, sonst gehen sie unter.
Strategien
von Unternehmen wie Fiat
und Ikea sind fatal.
Wenn
deutsche Konzernchefs im Ausland unterwegs sind, sprechen sie gerne von ihrer
zweiten Heimat. BMW-Chef Norbert Reithofer zum Beispiel.
Als er im
vergangenen Herbst zur Erweiterung einer Autofabrik nach South Carolina in die amerikanischen
Südstaaten reiste, sprach er bei
der Feier auffällig oft davon. Von der zweiten
Heimat.
Die lokale
Prominenz hörte das gerne, der Bürgermeister
applaudierte. Dabei hatte Reithofer hier nicht nur
für die Anwesenden den Südstaatler gegeben. Seine Adressaten saßen
auch in der ersten Heimat - in der Münchner Zentrale.
Für die waren die Worte ihres Chefs vor allem eines:
ein Versprechen. Autos kann und muss man inzwischen zwar überall bauen
- in den USA, Südafrika, China. Das
Herz des Konzerns aber schlägt in München.
Eine
Konzernzentrale ist mehr als eine
Halle mit Maschinen und Bändern. Hier wird über
die Produkte und die strategische
Zukunft entschieden, hier wird geforscht,
hier feilen Marketing-Experten am Image. Es laufen
alle finanziellen Ströme zusammen. Die Hauptverwaltung eines Unternehmens ist zugleich Taktgeber und kulturelles Zentrum.
ANZEIGE
Gerade in einer Zeit, in der große Konzerne
immer globaler und die Verflechtungen mit anderen Firmen von Tag zu Tag unübersichtlicher werden, wird sie
zum Herzstück. Die Frage nach der
Herkunft eines Unternehmens ist heute oft die einzige Frage, die sich überhaupt noch klar beantworten lässt. BMW wirbt weltweit mit Bildern
seines Vierzylinder-Gebäudes am Münchner
Olympiapark. Es ist
nur ein Stück
Architektur, aber es stiftet Identität.
Und es ist
ein Markenzeichen, das Verwurzelung symbolisiert.
Es geht um einfache Grundregeln - und doch werden sie von vielen ignoriert. Am Beispiel von Fiat-Chef
Sergio Marchionne lässt sich schön studieren,
wie man es nicht machen sollte. Vor
einigen Wochen ätzte er, sein
Konzern stünde ohne Italien und seine Fabriken besser da.
Eigentlich wollte er
den traditionell starken italienischen Gewerkschaften damit nur Zugeständnisse
abringen. Tatsächlich aber brachte der
italo-kanadische Manager ein
ganzes Land auf die Barrikaden.
Vor ein paar
Tagen dann überspannte er den Bogen endgültig - und schloss einen Umzug
der Fiat-Zentrale von Turin
in die USA nicht mehr aus.
Marchionne folgt dabei
einer simplen Logik: Er hatte
vor zwei Jahren beschlossen, den angeschlagenen US-Hersteller
Chrysler zu übernehmen. So entsteht gerade
ein transatlantisches Gebilde, ein neuer
italo-amerikanischer Autokoloss,
der seine Fabriken überall hat. In Auburn Hills bei Detroit, in Turin, in Süditalien,
in der Türkei und in Brasilien.
Daher scheint Marchionne
zu glauben, dass es egal
sei, wo das Herz des fusionierten Konzerns schlägt - im norditalienischen Piemont, in Michigan oder sonstwo. Ein verheerender Irrtum: Die gemeinsame Geschichte
von Chrysler und Fiat und Italien ist
jung. Die von Fiat und Italien
gibt es seit
1899. Marchionnes Rhetorik ist unsensibel - und höchst riskant.
Die Autos des Herstellers waren immer dann am erfolgreichsten,
wenn sie ein Stück jener
Kultur transportierten, aus der sie
kamen. Der Cinquecento etwa
ist so ein italienisches Auto. Und Alfa Romeo ist
eine Marke, deren Mythos vor allem auf jenen Bildern beruht, die Menschen im Kopf haben, wenn sie
an Italien denken. Fiat von Detroit aus zu
lenken wäre das Ende. Weil Detroit andere Assoziationen auslöst als Turin.
Besonders peinlich wird es, wenn Marketing und Realität komplett auseinanderdriften wie bei Ikea. Nach außen hin stellt
sich das Möbelhaus gerne als ur-schwedisch
dar. Skandinavisch, bodenständig, die Auflage des blau-gelben Ikea-Katalogs liegt bei 200 Millionen
im Jahr. Das Image wäre wohl anders,
wenn die Ikea-Gemeinde wüste, von wo aus
der multinationale Regalbauer in Wahrheit gesteuert wird: Nach Recherchen des schwedischen Fernsehens schlägt das wahre Herz von Ikea nämlich weiter südlich - der milliardenschwere Konzern soll demnach
über eine Stiftung in Liechtenstein gesteuert
werden.
Andere geben der
Versuchung gar nicht erst nach. Als
die Investmentbanking-Sparte
bei der Deutschen
Bank vor Jahren immer mächtiger wurde, befürchteten Mitarbeiter in Frankfurt eine Verlagerung der Zentrale nach London. Die Manager
aber waren der Meinung, dass
auch eine global operierende Bank einen starken Heimatmarkt braucht.
Kleine Unternehmen brauchen
eine Heimat. Große Konzerne, deren
Umsätze höher sind als das Bruttosozialprodukt
mancher Länder, erst recht.