Ägypten und die USA Der faustische
Pakt
Ein Kommentar von Stefan Kornelius
31.01.2011
Zu lange wurde
Stabilität mit Stagnation verwechselt: Washington nimmt Abschied vom ägyptischen
Präsidenten Hosni Mubarak - und auch
von der Idee, sich mit Geld Ruhe
und Einfluss auf Potentaten
kaufen zu können. Die westliche Welt muss sich in Schande eingestehen, dass sie in Ägypten versagt hat.
Der Kalte
Krieg endete vor gut 20 Jahren, da war Hosni Mubarak bereits
zehn Jahre lang Präsident
Ägyptens und eine - wenn nicht die - zentrale Figur im Spiel um Macht und Einfluss im Nahen
Osten. Der Kalte Krieg hatte nicht viel
Platz für Grautöne gelassen,
es gab schwarz und weiß: mein Diktator
oder dein Diktator, meine Autokratie oder deine Autokratie - im Ringen der
großen Blöcke um Einfluss und Gefolgschaft gab es nur dafür
oder dagegen. Mubarak beherrschte das Spiel meisterlich,
zumal er nach dem Zusammenbruch
der alten Ordnung die Schlüsselrolle in der nächsten Aufführung
übernahm: Frieden im Nahen Osten.
Mubarak war ein Garant für Stabilität, ein Anker für die arabische Welt.
Die Selbstbefreiung
der tunesischen und nun der ägyptischen Bürger von ihren Herrschern und deren verkrusteten Strukturen erledigt nun auch eine weitere unrühmliche
Episode dieser Satelliten-Politik,
die in der neueren
Geschichte schon viel zu oft Schaden angerichtet hat. Die kümmerliche Schaukelpolitik der Regierung Obama in den vergangenen
Tagen zeugt davon. US-Außenministerin Hillary
Clinton mahnte erst zu Ruhe und Besonnenheit,
dann stellte das Weiße Haus in abstrakter
Form fest, dass ein Volk
seine Meinung sagen und demonstrieren dürfe. Und schließlich erhielt der Verbündete Mubarak die klare Mahnung, die Waffen schweigen zu lassen und
einen friedlichen Übergang in eine neue Zeit zu erlauben.
Amerika
hat Abschied genommen von
Mubarak.
Abschied nehmen muss
die Regierung Obama aber
auch von der Vorstellung, dass sich Stabilität und Einfluss über Potentaten
kaufen und auf Dauer halten lassen. Die Vorstellung, mit 1,5 Milliarden Dollar im Jahr und politischen
Streicheleinheiten Einfluss
zu gewinnen, ist gescheitert. Ob Regime in Südamerika oder
Familienclans wie die
Marcos auf den Philippinen - am Ende
ist der Volkswille
stärker, kein Ventil hält dem
Druck im Kessel stand. Keine noch so nachvollziehbare
Interessenspolitik kann funktionieren, wenn sie die archaischen Kräfte eines unterdrückten
Volkes missachtet.
Das Satelliten-Modell
ist kein
amerikanisches Phänomen.
Die USA sind nur besonders exponiert,
weil ihr Arm besonders weit reicht. Aber selbst
die deutsche Außenpolitik vertraute
Mubarak und fand sich mit dem Deal ab,
den der Potentat anbot: Stabilität in der Region und ein bisschen Friedenshoffnung für Israel im Gegenzug
für Stillschweigen - Stillschweigen bei den Menschenrechten, bei der politischen und gesellschaftlichen Modernisierung,
bei Korruption und Intransparenz. Der Aufstand in Ägypten richtet sich nicht gegen
den Einfluss ausländischer Mächte. Die spielen nur eine Nebenrolle.
Die Menschen in Kairo haben den Herrscher im Visier. Die Patronatsnationen des Mubarak-Regimes aber
sind verhaftet mit dem alten
System und zahlen nun einen
Preis, selbst wenn die USA Mubarak im Stillen in den vergangenen Monaten gedrängt haben, das System zu öffnen und Freiheiten zu gewähren.
Die Entmachtung
durch die Straße ist für
die Patronatsmächte ein Beleg ihrer Machtlosigkeit.
Die USA konnten Mubarak nicht
zu Reformen bewegen, aber sie
konnten ihn auch nicht vom
Geldtropf abklemmen. Der faustische Pakt funktionierte, die tiefe Furcht vor Fundamentalisten
und Nationalisten erzeugte eine Abhängigkeit, die den Potentaten am Ende sogar stärkte. Mubarak nutzte die Zuwendungen, um sein Regime zu festigen und den Sicherheitsapparat
zu bezahlen. Was einer islamistischen Gefahr vorbeugen sollte, half auch bei der Unterdrückung
der Modernisierer und Demokraten.
Am Ende machte die Furcht vor den Muslimbrüdern Mubaraks Helfer im Ausland
blind für die Gefahren, die
von dem Regime ausgingen.
Nun besteht die Gefahr, dass Anarchie und Fanatismus unkontrolliert eskalieren, dass diese gewaltige Nation implodiert.
Stabilität lässt sich
von außen nicht erkaufen, vor allem
wenn Stabilität mit Stagnation verwechselt wird. Ägyptens Zukunft wird nun von den Ägyptern selbst bestimmt. Sie haben erkannt, dass sie die Modernitätsverweigerer
an der Spitze
verjagen müssen, um wieder Luft zum
Atmen zu bekommen. Amerika und der übrige demokratische Westen, die sich nicht ganz zu
Unrecht seines demokratischen
und freiheitlichen Systems preisen
und um ihre Überlegenheit wissen, müssen sich in Schande eingestehen, dass sie versagt haben.
Für einen billigen Gewinn - ein bisschen Stabilität,
ein bisschen Frieden - haben sie die Augen geschlossen
vor der Missachtung
der wichtigsten politischen Werte. Und sie haben versäumt,
ihren Verbündeten die Grenzen aufzuzeigen.
All das wird
die Attraktivität Amerikas
und auch Europas für viele in der
arabischen Welt nicht mindern. Aber die unmittelbaren Einflusschancen und der Respekt vor der
Politik des Westens schwinden. Die arabische Welt taumelt in eine dramatische Phase des Übergangs,
und der Westen darf dabei zuschauen.
Die Ausläufer des ägyptischen
Bebens werden von Tanger bis Teheran zu spüren sein,
in Rabat und Riad. Überall funktioniert die Herrschaft nach demselben Muster - und es war nirgendwo der Westen, der
den Mächtigen die Unterstützung
entzogen hat.