'So macht es keinen Spaß
mehr'
19.06.2010
Von
Thomas Hummel, Johannesburg
Deutschland beschwert sich über zu viele
gelbe Karten, die ganze Welt wundert sich über eine
Fehlentscheidung gegen die
USA: Die Leistungen der Schiedsrichter geraten zunehmend in die Kritik.
Bevor die Spieler der USA aus ihren
Kabinen kamen, suchten ihre Journalisten
nach Antworten. Im Pressezelt am
Ellis Park in Johannesburg näherten sich einige von ihnen den Kollegen aus den traditionellen Fußballländern Europas, denn die müssten es ja schließlich
wissen: Excuse me, können Sie mir sagen,
was der Schiedsrichter da gepfiffen hat? Leider konnten ihnen weder
Engländer noch Deutsche noch sonstige Menschen
aus einem traditionellen Fußballland eine Antwort auf die Frage geben. Der
Pfiff von Koman Coulibaly aus
Mali blieb unergründlich.
Nach 86 Minuten war ein Freistoß von Landon Donovan
in den Strafraum geflogen,
am hinteren Pfosten tauchte Maurice Edu auf und vollendete völlig freistehend zum 3:2 für die USA. Doch dann pfiff Coulibaly und gab Freistoß für Slowenien.
"Wir haben ihn auf dem Platz
mehrfach gefragt, was er gepfiffen hat", erzählte Donovan später, "doch er gab uns
keine Antwort." Ob aus Ignoranz oder weil Coulibaly eventuell kein Englisch verstand, konnte Donovan nicht sagen.
Ob er
nun eine Abseitsstellung gesehen hatte, die es nicht gab? Oder ein Foul beim allgegenwärtigen
Gerangel im Strafraum, das es auch nicht gab? Es wird keine Antwort darauf geben. Der Weltverband Fifa hat seinen Schiedsrichtern jeden Kommentar zu Entscheidungen
auf dem Platz verboten. "Zu Spielsituationen
dürfen wir generell nichts sagen", sagte der deutsche Vertreter Wolfgang
Stark vor dem Turnier. Er habe eine E-Mail von der Fifa bekommen,
in der stehe, dass alle Interviews mit dem Eintreffen
in Südafrika abgeschlossen sein müssten.
"Kartenspieler ohne Persönlichkeit"
Und so werden
auch die deutschen Spieler und Fans keine Antwort von Alberto Undiano erhalten. Der spanische Schiedsrichter geriet nach dem
0:1 der DFB-Elf gegen Serbien herb in die Kritik, sowohl in Volkes Stimme als auch von den sogenannten Experten. Im Mittelpunkt stand die rege Verteilung von am Ende neun gelben
Karten, die nach einer guten halben
Stunde dazu führte, dass Miroslav
Klose mit Gelb-Rot vom Platz flog. "So macht es
keinen Spaß mehr, Fußball zu
spielen, wenn man nichts mehr machen
kann auf dem Platz und gleich gelbe Karten bekommt.
So etwas habe
ich noch nie erlebt", klagte Bastian Schweinsteiger stellvertretend für die Stimmung in der deutschen Kabine.
Der Bundesliga-Schiedsrichter
Knut Kircher bezeichnete Undiano in den Stuttgarter
Nachrichten als "Kartenspieler ohne Persönlichkeit", Franz Beckenbauer
drückte seine Abneigung auf
die ihm eigene Weise aus: "Wenn solche Platzverweise Schule machen, dann können wir
mit dem Fußball
aufhören." Die Fans reagierten
sich derweil auf den diversen Internetplattformen ab, bei Facebook und Twitter wurden sogar Seiten
gesperrt, weil
die Beschimpfungen offenbar
zu herb wurden.
Die
unverständliche Schiedsrichter-Auswahl
der Fifa
Nach einer Woche
schwillt damit erstmals bei dieser
WM der Unwille gegen Unparteiische merklich an. Zuvor hatte sich nur
der südafrikanische Trainer
Carlos Alberto Parreira über
den Schweizer Massimo Bussacca
beschwert, doch das musste nach dem
0:3 gegen Uruguay als Ablenkungsmanöver gewertet werden. Sonst bekamen
die Schiedsrichter in den ersten
Tagen stets anerkennende Wertungen, etwa vom der Leiter
der neuen Schiedsrichter-Kommission des Deutschen
Fußball-Bundes (DFB),
Herbert Fandel.
"Im Großen und Ganzen
kann man da sehr, sehr zufrieden sein", sagte Fandel. Allerdings hatte er schon vor
den Freitagsspielen bemerkt,
dass die Kollegen "darauf eingestellt wurden, gerade am Anfang Maßstäbe zu setzen. Sie
sind natürlich
dann bemüht, sehr akkurat zu
pfeifen. Das kann
man zu Beginn eines solchen Turniers
immer wieder beobachten."
Und so steht
der Vorwurf im Raum, dass
die deutsche Mannschaft ihre
Spielweise dem kleinlichen Pfeifen von Alberto Undiano hätte anpassen
müssen. Schließlich hatte der schon
vor der Partie
damit gedroht, er wolle sich
"von der ersten Minute
an Respekt verschaffen".
Für die
Laune der Mitgliedsländer
Zumindest Miroslav Klose hätte nach
seiner ersten gelben Karte, die bei sachgerechter Beurteilung überzogen war, wissen müssen, dass er
nun ein Beinstellen von hinten an der
Mittellinie zu unterlassen hat. Zumal er zwischenzeitlich auch noch die unnötige
Aktion eingestreut hatte, trotz eines
Pfiffs des Schiedsrichters weiterzuspielen und den Ball ins
Tor zu schießen. Seine gelb-rote Karte war hart in der Sache, aber
im Sinne Undianos konsequent. Selbst Deutschlands höchste Fußballinstanz, Franz Beckenbauer, räumte dies ein: "Allerdings ist der Schiri
für sein kleinliches Pfeifen bekannt. Das muss man wissen, und
dann darf man da nicht so hingehen."
Während Undiano immerhin
als bester Schiedsrichter der Primera Division ein gewisses Renommee mitbringt, weist der Fall Coulibaly beim Spiel USA
gegen Slowenien auf eine Debatte hin,
die bei allen Weltturnieren so sicher wiederkehrt wie die englische Torwartdiskussion.
"Es war sein erstes
Spiel auf diesem Niveau, er war vielleicht ein bisschen überfordert",
mutmaßte Landon Donovan nach
dem 2:2.
Die Fifa
nominiert grundsätzlich nur einen Schiedsrichter
pro Land für eine Weltmeisterschaft. Das hat zur Folge, dass viele
Champions-League-gestählte Schiedsrichter
zu Hause bleiben müssen. Auf der anderen Seite
ist es
ein elegantes Mittel, möglichst viele Mitgliedsländer bei Laune zu halten
und bei der nächsten Wahl auf das Kreuz an der richtigen Stelle
zu hoffen. Dieses Vorgehen lässt Länder an der WM teilhaben, die es mit ihren Fußballern
vermutlich nie dorthin schaffen werden. Kollege Coulibaly vertritt Mali, die letzten Gruppenspiele leiten unter anderem Schiedsrichter
von den Seychellen oder aus Guatemala.