Später Triumph der Toleranz

 

Der Streit ruft beide Seiten zur Selbstkritik auf. Muslime müssen die Proteste als klares Warnsignal ernst nehmen.

 

VON MATTHIAS GIERTH

 

Vom Vordenker des türkischen Nationalismus, Ziya Gökalp, stammt aus dem Jahr 1912 der Ruf: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ Die Proteste, die sich in fast allen westlichen Ländern heute regelmäßig gegen Moscheebauten richten, sind immer auch Reflexe auf ebenjenen weltlichen Herrschaftsanspruch des Islam, den überzeugend abzulegen den Muslimen nie gelungen ist.

 

Da kann es nicht verwundern, dass der geplante Bau des muslimischen Gemeindezentrums „Cordoba House“ in unmittelbarer Nähe zu Ground Zero derzeit die Emotionen hochkochen lässt. Die Symbolik des Ortes wiegt für Amerika zu schwer, als dass selbst eine so weltoffene Stadt wie New York, die über mehr als 200 Moscheen verfügt, leichthin zur Tagesordnung übergehen würde. Dass die Baubefürworter dies nicht von vornherein berücksichtigt und bei der Bevölkerung viel offensiver um Zustimmung geworben haben, ist umso unverständlicher.

 

Doch die jetzige Auseinandersetzung muss trotz ihrer Schärfe nicht zu einer dauerhaften Belastung im Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen und Religionen werden. Sie ruft beide Seiten zu Selbstkritik und -vergewisserung auf. So ist es an den Muslimen, die Proteste als ernsthaftes Warnsignal wahrzunehmen. In den USA gehören sie überwiegend zur gehobenen Mittelschicht; sie sind gebildet und häufig wohlhabend. Dennoch haben sie es nicht vermocht, der wachsenden Skepsis, die ihnen begegnet, entgegenzutreten.

 

Tatsächlich fehlt es – in den USA wie andernorts – vielfach am eindeutigen bürgerschaftlichen Engagement von Muslimen für Staat und Gesellschaft. Es mangelt am lautstarken Protest gegen die zahllosen Unmenschlichkeiten und Terrorakte im Namen Allahs und an öffentlicher Unterstützung für die alliierten Truppen im Irak und in Afghanistan. Auch ist viel zu selten Kritik am beschämenden Umstand zu vernehmen, dass es Christen in islamischen Ländern nach wie vor verwehrt bleibt, ihrerseits Gebetsstätten und Kirchen zu errichten. Diese Zurückhaltung trägt nicht zur Vertrauensbildung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen bei, sie befördert eine Atmosphäre der Verdächtigungen.

 

Zugleich dürfen Muslime ihrerseits von Christen (wie auch von Bekenntnislosen) so viel prinzipielle Unterscheidungsfähigkeit erwarten, dass sie die Pervertierungen des Islam, wie sie in den Verbrechen des 11. September zum Ausdruck kommen, nicht mit dem Islam gleichsetzen. Islam und Terror haben per se so wenig miteinander zu tun wie Christentum und Terror. Ein Erfolg der Baugegner nivellierte diese Selbstverständlichkeit und böte den Islamisten eine Steilvorlage: Sie warten nur darauf, das wahre Gesicht des „gottlosen Westens“, der angeblich den Islam bekämpft, zu entlarven und für ihre Propaganda zu nutzen.

 

Mit seiner ursprünglichen Unterstützung für das Cordoba House hatte Präsident Barack Obama der Religionsfreiheit, die auch die US-Verfassung verbürgt, einen Dienst erwiesen. Seine Sympathie stand ganz in einer Linie mit dem Versuch seiner Präsidentschaft, neu auf die Muslime und die arabische Welt zuzugehen. Dass Obama unter dem Druck der im Herbst bevorstehenden Kongresswahlen zu Wochenbeginn einen Rückzieher gemacht hat, offenbart freilich, wie wenig ausgeprägt das Rückgrat des ohnehin politisch Angeschlagenen derzeit ist.

 

Courage werden daher andere zeigen müssen. Den Befürwortern des islamischen Zentrums spielt immerhin in die Hände, dass die Baubewilligung längst erteilt wurde. Auch scheint trotz aller Vorbehalte das Gespür der New Yorker dafür groß, dass es nicht Sache von Politikern sein kann zu entscheiden, wer wann wo beten darf. Viel zu sehr ist der Streit schon Gegenstand des Wahlkampfs geworden – keine guten Voraussetzungen für eine Befriedung der erhitzten Gemüter.

 

Die aber braucht es, um die Chance des Vorhabens nicht zu verspielen: In unmittelbarer Nähe des Ortes, an dem Christen und Muslime grausam starben, ist eine Moschee zuallererst ein Symbol des Respekts vor dem Leben, der alle abrahamitischen Weltreligionen verbindet. Wenn der Name des Zentrums – „Cordoba“ – Programm wird und dieses wie die spanische Stadt der Toleranz im Mittelalter das friedliche Zusammenleben fördert, ist das das Gegenteil dessen, was die Attentäter des 11. September bezwecken wollten. Diese Idee zu verhindern hieße, der Unmenschlichkeit einen weiteren späten Triumph zu verleihen.