Kotzbrocken oder nicht ist völlig

 

27. Jan 2014

 

In der letzten Woche wurde von der «New Republic» ein vernichtender Artikel über Edward Snowden, Julian Assange und Glenn Greenwald veröffentlicht, der die Motive dieser Leute für die Verbreitung der von NSA und anderen Regierungsbehörden entwendeten Daten hinterfragt.

 

Stellen Sie sich folgende Szene vor: Sonntagsspaziergang mit ihrer Familie oder ihrem Partner an einem Fluss entlang. Die Schneeschmelze hat eingesetzt und der Fluss führt Hochwasser. Ihr Kind/Partner rutscht ab und fällt in die reissenden Fluten, wird sofort mitgerissen. Hundert Meter weiter unten beobachtet dies ein anderer Passant, der sofort ins Wasser springt, sein Leben riskiert und tatsächlich die geliebte Person, die sie schon verloren glaubten, aus dem Fluss rettet.

 

Sie veranstalten zu Ehren des Retters ein Festessen und bitten diesen, einige Worte an die Anwesenden zu richten. Doch die Ansprache wird zum Desaster: Das Motiv für die Rettung war nicht, das Leben des Ertrinkenden zu retten, sondern der Wunsch, dass der weiter unten liegende See nicht mit einer abstossenden, stinkenden, aufgeblähten Leiche verschmutzt würde und ausserdem finde er alle hier zum Kotzen, aber er werde jetzt trotzdem essen, denn wenn jemand so blöd ist, ihn einzuladen, selber schuld!

 

Entsetztes Schweigen rundum doch... kommt es drauf an? Eine Person, die sie lieben, sitzt am Tisch, weil der Kotzbrocken, der sich nun hingesetzt hat, und ohne ein weiteres Wort zu essen beginnt, diese rettete. Die Alternative wäre eine Beerdigung gewesen.

 

Wenn wir den Artikel von «New Republic» für bare Münze nehmen und davon ausgehen, dass Snowden absolut keine persönliche Entwicklung durchgemacht hat, dann handelt es sich bei diesem um einen radikalen, fast rechts extremen Libertarier und Waffennarren der unter anderem Ron Paul finanziell unterstützte. Er verachtet dem Artikel nach liberale Werte, will, dass Schnellfeuerwaffen frei erhältlich sind und er habe seine Mitarbeiter angelogen, um Logins für Daten zu bekommen und so deren Karrieren ruiniert (wobei diese Leute ihre Karrieren selbst ruinierten, weil sie sich nicht an die Vorschriften hielten). Ja, so die impliziertes Folgerung: Snowden will vermutlich die Regierung Obama stürzen, indem er diese Geheimnisse verrät.

 

Die Frage, mit der der Artikel gestartet wurde, war denn auch logisch: «Würden sie anders über Snowden (...) denken, wenn sie wüssten, was er gedacht hat?»

 

Was nicht gefragt wird ist allerdings: kommt es einem verdammten Furz drauf an, was Snowden gedacht hat? Ist es wirklich entscheidend, ob er privat ein Kotzbrocken ist, oder, wie Heinrich Himmler ein liebender Familienmensch, der zwischen dem Morden brieflich Banalitäten mit seiner Frau austauschte.

 

Wenn wir damit anfangen, geschichtlich relevante Taten mit dem Privatleben zu korrelieren, sind wir auf einmal mit schrecklich interessanten, völlig irrelevanten Fakten konfrontiert. Wie irrelevant? Ganz egal wie lausig Einstein als Familienvater war, funktionieren dank seiner Formeln GPS-Geräte und Licht biegt sich genau wie von ihm vorher gesagt. Oder Reinhard Heydrich? Er war kultiviert, er spielte virtuos Geige und Piano und sei von seiner Frau in den Nazismus gedrängt worden. War er deshalb ein besserer Mensch oder ist nicht einzig relevant, dass er für Tausende Morde zuständig war und mit den Holocaust vorbereitete? Man stelle sich vor, es hätte schon vor Jahrhunderten Facebook gegeben und Attila hätte nicht nur die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt, sondern jeweils auch die lustigsten Katzenbilder gepostet und heute würde in seinem Zusammenhang nur von jenem Kätzchen, dass so süss aus dem Schädel eines seiner Opfer rausschaut, geredet. Eben.

 

Die Geschichte ist voll von heldenhaften Ekeln und liebenswürdigen Monstern. Sollten Snowden, Assange und Greenwald zu den ersteren gehören, sei es so. Die Relevanz liegt hier nicht darin, wer die Belauschungen des Monsters NSA aufgedeckt hat, sondern dass es aufgedeckt wurde.

 

Der Artikel von «New Republic» sollte einen daher nicht an den Enthüllung Zweifeln lassen, denn es handelt sich um ein Lehrstück von ad hominem Attacken, einem Versuch, die Debatte zu versenken, indem auf den Mann gespielt wird. Zu einer solchen Argumentation wird eigentlich nur gegriffen, wenn es an Sachargumenten fehlt, ist somit eher eine Bestätigung dessen, was der Angegriffene vorgebracht hat, als eine Entwertung.

 

Um auf das Beispiel am Anfang zurück zu kommen: Egal wie verworren, unsympathisch und widersprüchlich jemand auch sein mag, es zählt die Tat.