Cyber-Heuchelei im Multipack
26.
Jun 2013
Prism und Tempora, zwei Programme,
welche die Zornesröte in
die Gesichter vieler Menschen treiben, sind momentan in aller Munde. Das Ausmass der Spionage
gegenüber unbescholtenen Bürgern scheint gigantisch zu sein.
Ebenso die Heuchelei, die
von manchen Staaten in dem Zusammenhang betrieben wird.
Machen wir uns nichts vor:
Spione spionieren und versuchen, mit allen ihnen erlaubten
Mitteln den von den Regierungen vorgegebenen Status
Quo zu erhalten und dabei der eigenen
Nation - oder dem was sie dafür halten
- dem Ausland gegenüber Vorteile zu verschaffen. Die Datenschnüffelei der USA und - in
noch viel grösserem Ausmass - Grossbritanniens sind da nichts als
logische Folgerungen.
Wenn die deutsche Kanzlerin
verunsichert empört über die Bespitzelei durch ihre «Freunde»
ist, dann kann sich das ein
Mensch mit klarem Verstand nur damit erklären,
dass sie denkt, dass ihre
damalige DDR niemals gegen die UdSSR geschnüffelt hätte und meint, dass die Welt immer noch die Gleiche wie damals ist
- was natürlich beides Blödsinn ist. Auch
der Stasi versuchte, an Informationen aus Moskau zu kommen
- vor allem kurz vor dem
Zusammenbruch des Ostblocks.
Auch im Westen hat Spitzelei unter Freunden Tradition: CIA, BND, MI5 - und wie die Vereine alle heissen
- liessen schon seit jeher ihre
Fühler so weit es nur ging
in die Etagen der Mächtigen der Partnerstaaten
wachsen, während einfache Bürger nur dann bespitzelt
wurden, wenn sie besondere Fähigkeiten
oder Positionen innehatten.
Heute arbeiten hingegen alleine hunderte Geheimdienstmitarbeiter der angelsächsischen Geheimdienste um den unglaublichen
Datenwust, der jeden Tag von «Tempora» aufgesogen wird, zu durchforsten. Tönt erschreckend? Eine Nation, die sich durch das ausreisen lassen von Edward Snowden soeben als Verteidigerin der Datenfreiheit profilierte, beschäftigt selbst eine Cyber-Armee mit 100'000 Mitgliedern, mit denen sie die eigenen
Bürger und deren Kontakte ins Ausland bespitzelt, Kommunikationskanäle willkürlich lahm legt und Twitterer für rebellische Kommentare schon auch gerne mal einlocht (erinnert sich noch jemand
an die chinesische Jasmin-Revolution?).
Ja, jetzt ist es klar:
Es geht um China.
Nachdem China dann
die USA noch als den grössten Schurken der Gegenwart beschimpft
hatte (eine laute Ablenkung von eigenen Schweinereien ist besser als
irgend eine Ablenkung) flüchtete der für seinen
Mut zu recht
bewunderte Snowden in die Arme
des nächsten opressiven
Regimes, Russland. Der Staat, in dem sich
Vladimir Putin eben als Zar der Neuzeit
installierte; das Land, in dem
es neuerdings sogar verboten ist, realistisch oder gar positiv über Homosexualität
zu sprechen und wo ein russisch
dominierter Fascho-Panslavismus
fröhlich Urständ feiert, lässt den Amerikanischen Flüchtling im extraterritorialen Transitbereich seines Hauptstadtflughafens
eine Pause auf seiner Flucht
machen, bevor es vermutlich nach
Ecuador weitergeht.
Ach
ja, Ecuador. Der Andenstaat hat in seiner Londoner Botschaft
ja schon den Wikileaks-Chef Julian Assange verstaut
und will nun scheinbar auch
Snowden aufnehmen. Es wäre schön, wenn unbequeme
Charaktere im eigenen Land so tolerant behandelt
würden. Obwohl es Fortschritte gäbe, werden vor
allem Angehörige von indigenen Völkern durch Sicherheitskräfte brutal behandelt und auch um die Pressefreiheit ist es nicht so toll bestellt, auch wenn zum Beispiel
vier zu Gefängnisstrafen
verurteilte Reporter vom Präsidenten begnadigt wurden. Die Tatsache, dass Journalisten überhaupt begnadigt werden müssen, ist bedenklich genug.
Und
auf dem Weg nach Ecuador werde Snowden angeblich in Kuba halt machen. Noch so ein Hort der
Freiheit und Menschenrechte.
Diese ganze Farce beleuchtet auf krasse Weise die Entkoppelung der Staatsmacht von seinen Bürgern - und zwar auf der ganzen Welt, inklusive des Westens, was besonders bedenklich ist. Und wenn ein
solcher Skandal losbricht, ist auch kein heilsamer
Schock zu erwarten: Jene, die verraten wurden (nein, nicht die Bürger, die Geheimdienste!), toben, während jene, die politisch davon profitieren, so viel Propaganda-Kleingeld wie möglich
daraus lösen wollen und dies auch tun.
Dies
schliesst totalitäre Regime
mit ein und sogar eine Sarah Palin, die sich als Verteidigerin
der Privatsphäre der Bürger darstellt,
wenn sie über Obamas Regierung
herzieht. Wäre sie heute Vizepräsidentin
würde sie mit Bestimmtheit den Kopf von
Edward Snowden fordern und diesen
mit Freude in ihrem Wohnzimmer neben die anderen Jagdtrophäen aufhängen, denn PRISM wurde von beiden Parteien, beiden Kammern des US-Parlaments und den US-Gerichten gebilligt.
Die
Cyber-Heuchelei ist fast nicht auszuhalten und allen, die zurecht empört über die Megaspitzeleien sind, ist geraten, gerade
jenen Mächtigen und Mächten gegenüber misstrauisch zu sein, die sich jetzt als Verteidiger
der Freiheit im Internet und jener, die für sie kämpfen,
aufspielen. Denn hier haben wir
definitiv den Fall von Eseln,
die andere ein Langohr schimpfen. Wobei die einen Langohren - nämlich die westlichen Demokratien - es in den eigenen Händen hätten, mit klaren Normen,
Gesetzten und einer glaubhaften Kontrolle der Schnüffler wieder zu dem
zu werden, was sie immer mehr
nur gerne sein wollen: Orte
der Freiheit, die diesen Namen auch
verdienen.