Das Puzzle des rauens
17. Dez 2012
Es gibt Dinge, die will man eigentlich gar nicht wissen. Sich näher mit dem Massaker von Newton zu befassen, ist für einen mitfühlenden Menschen unerträglich, sich die Szenen vorzustellen, die sich abgespielt haben müssen, niederschmetternd. Die einzige Möglichkeit der Analyse ist die kalte Distanzierung
28 Menschen sind tot. 20 Kinder, 7 Erwachsene und der 20-jährige Mörder. Der Täter, Adam Lanza, nutzte für die meisten Morde ein halbautomatisches Sturmgewehr der Marke Bushmaster. Er litt angeblich unter Entwicklungs- und Persönlichkeitsstörungen, habe z.B. keinen Schmerz spüren können. Die Waffen, die er benutzte, gehörten alle seiner Mutter, deren Hobby diese waren und die nach verschiedenen Angaben bis zu sieben Schusswaffen besass und sich als «Survivalist» auf eine kommende Apokalypse vorbereitete. Die Mutter war sein erstes Opfer. Das Motiv des Täters ist unbekannt.
Diese Auflistung kann weder den Schmerz, noch den Schrecken auch nur berühren, die der Täter verursacht hat. Doch dies kann auch kein Buch von tausend Seiten, gefüllt mit den mitfühlendsten Worten von hundert Poeten. Der Schmerz eines Vaters oder einer Mutter, deren kleines Kind, das man am Morgen zum Abschied noch einmal geküsst hat und das nie mehr zurück kommt, weil es von einem Irren im Kindergarten erschossen worden ist, lässt sich nicht in Worte fassen. Probieren wir es also lieber gar nicht.
Doch die Auflistung zeigt Teile eines Puzzles, von dem nur ein Teil hätte fehlen müssen, damit viele, wenn nicht gar alle Opfer verschont geblieben wären.
Dies beginnt natürlich bei den Waffen. Das Recht Waffen zu besitzen ist in den USA Sakrosankt - ein Relikt aus den Gründungszeit des Staates, der aus einem Kampf gegen die Kolonialmacht Grossbritannien hervorgegangen ist. Doch in den letzten Jahrzehnten hat eine Hochrüstung stattgefunden, im Rahmen derer eben auch Gewehre wie das Bushmaster M4-A3 Sturmgewehr, dass dank seiner Lauflänge von 16 Zoll mit einer Waffenlizenz käuflich ist, immer verbreiteter wurden.
Diese Art von Sturmgewehr gehört schlicht und ergreifend verboten. Es gibt keinen vernünftigen Grund (weder Jagd noch Selbstverteidigung), so ein Teil zu besitzen, ausser, um damit am Schiessstand zu prahlen oder ein Massaker anzurichten.
Der einzige Grund warum sie verkauft werden, ist die Gier nach Geld. Auf der Website von Bushmaster werden die Sturmgewehre zu Preisen zwischen 840 und 2500 US-Dollar angepriesen. Dass sie sich eben im tödlichen Einsatz gegen Grundschüler bewährt haben, wird hingegen nicht erwähnt.
Die generelle Diskussion wird derzeit stark auf die Person des Attentäters und dessen angebliches Asperger-Syndrom (eine milde Form des Autismus) fokussiert. Fakt ist, dass derzeit weder klar ist, ob Lanza an diesem Syndrom litt, ob es eine andere Persönlichkeitsstörung, oder er einfach nur exzentrisch war. Sollte er aber an Persönlichkeitsstörungen gelitten haben, wäre er in den USA vermutlich unbehandelt geblieben, solange er nicht offiziell zur Gefahr, das heisst, zum Verbrecher erklärt worden wäre. Eltern, die ihre Kinder nach einem ersten Zwischenfall nicht gleich verhaften lassen wollen, fühlen sich offenbar sehr alleine gelassen. Während in Europa die Tendenz herrscht, jede Auffälligkeit sofort und auf jeder Stufe der Entwicklung zu vermessen und exzessiv zu therapieren, scheint es in den USA lediglich die Alternativen «ignorieren» und «einlochen» zu geben.
Trotz der mageren Informationslage wird die Debatte von manchen Kreisen allen Ernstes schon jetzt auf die Schiene: «Wir brauchen mehr Waffen, um unsere Kinder gegen mörderische Autisten verteidigen zu können», gelenkt. Dabei wird tunlichst nicht erwähnt, dass die Mutter, das erste der Opfer, von Lanza mit einer ihrer eigenen Waffen erschossen wurde. Alle der verwendeten Waffen waren legal erworben und registriert. Das Sturmgewehr, dessen Feuergeschwindigkeit und Magazingrösse (der Hersteller bietet ein 40er Magazin an) machte den Massenmord erst möglich.
Welche Rolle die Waffen- und Endzeit-Narretei der Mutter spielte, ist ebenso unklar wie der Auslöser des Massakers. Aber man kann es drehen und wenden wie man will. Im Zentrum steht zwar der Täter, doch ohne das Sturmgewehr hätte er bei weitem nicht so viel Leid anrichten können und ohne Zugang zu jeglichen Schusswaffen hätte es schlimmstenfalls eine Messerattacke gegeben, wie gleichentags in China, wo durch einen Amokläufer 20 Kinder verletzt, aber keines getötet wurden.
Jedes Schulmassaker, jeder Amoklauf hat eine eigene Dynamik. Doch in jedem Fall in den letzten zwanzig Jahren wurde die grosse Anzahl an Opfern durch Schusswaffen erst möglich und in keinem Fall wurde(n) der/die Täter durch Schusswaffen in den Händen privater aufgehalten, was das «Waffen schützen vor Amokläufen»-Argument ad absurdum führt. Erst das Eintreffen der Polizei und anderer Einsatzkräfte setzte dem Schrecken jeweils ein Ende.
Die Pro-Waffen Argumente zerbröseln im Licht der Fakten wie ein Vampir beim Sonnenbad. Am Ende steht nämlich das Interesse einer Milliardenindustrie, die jedes Jahr Millionen von Waffen in den USA verkauft, gegen das Leben Unschuldiger. Das Verbot von Sturmgewehren für Privatpersonen muss die erste Konsequenz aus diesem Schrecken sein, ein weniger auf den Kommerz ausgerichtetes Waffen-Gesetz die nächste. Und vielleicht kann die Gesundheitsreform von Obama ja dafür sorgen, dass in Zukunft Kinder und Jugendliche mit ernsthaften mentalen Problemen die Behandlung bekommen, die sie benötigen.
Das wichtigste Teil des Puzzles ist bekannt. Wenn es die Regierung Obama nicht schafft, dieses zu entfernen, begänne deren zweite Amtszeit schon wieder mit einer Niederlage - nicht nur für ihn, sondern auch für all die Opfer von Sandy Hook und deren Angehörigen.