Der Tag, an dem die Hoffnung erschossen wurde
Montag, 10. Jan 2011
Christina
Greene war für viele, die sie kannten, eine
kleine Hoffnungsträgerin. Das Mädchen, etwas älter als 9 Jahre, war bereits an Politik interessiert, eine gute und engagierte Schülerin und auch ehrenamtlich in Wohltätigkeitsorganisationen
tätig. Ein ausserordentliches Kind, also. Noch spezieller machte sie ihr Geburtstag,
der 11. September 2001.
Sie war eines der Kinder, die an jenem Tag geboren wurden, an dem das World Trade Center fiel
und darauf in einem Buch mit dem
Titel «Faces of Hope» mit neunundvierzig anderen an diesem Tag auf die Welt gekommenen
Kindern gezeigt wurde. Als Gesichter,
die eine Hoffnung auf die Zukunft machen sollten. Sie schien diese Hoffnungen erfüllen zu wollen, bis
eine der Kugeln aus Jared Lee Loughners Pistole ihre Brust durchschlug
und dieser sie mit fünf anderen
Menschen zusammen tötete. Sie starb, weil
sie als Kind Demokratie an einem kleinen politischen Anlass erleben wollte.
Gabrielle Giffords, die demokratische Kongress-Abgeordnete,
die das eigentliche Ziel
des Anschlags war, könnte trotz eines Kopfdurchschusses
irgendwie davon kommen, auch wenn
man sich Fragen darf, wie weit
dass die Politikerin ihre Fähigkeiten wieder erlangen
wird.
Unterdessen wird über
den Attentäter gerätselt. Der 22-jährige Loughner war ein
Aussenseiter und Eigenbrötler,
der bereits in seiner Schulzeit durch seine speziellen Ansichten auffiel und alle möglichen Beschreibungen bekam: Links-Extrem, liberal (was
in den USA ja auch links entspricht) bis anarchistisch gehen die Charakterisierungen. Aus dem College wurde er wegen ständiger
Störungen raus geworfen.
Die von ihm
selbst online genannten Lieblingsbücher umfassen ein Spektrum das gleichermassen widersprüchlich ist, wie die Charakterisierung
von ihm: Vom Kommunistischen Manifest über
«Mein Kampf» bis zu Platos «Republik»
geht die Liste und zurück über «Animal Farm» von
Orwell, den «Zauberer von Oz» bis
zu «Peter Pan».
Daraus ein Psychogramm
erstellen zu wollen ist vermessen,
aber zusammen mit den von Loughner auf seinem Youtube-Channel postulierten Ideen ergibt sich
das Bild eines verwirrten Menschen, der überzeugt war, alles glasklar zu sehen. Und je weniger andere Menschen seine Sicht teilten, je eindeutiger war es scheinbar für
Loughner, dass er Recht hatte mit
seinem Hass auf den Staat
und die Politiker.
Was sich
nirgends zeigt, sind allerdings
Verbindungen zur Tea Party
und Sarah Palin, die allzu schnell
proklamiert wurden. Ja, Palin hat auf ihrer Facebook-Seite eine geschmacklose
Graphik mit Fadenkreuzen auf Kongress-Distrikten
gepostet und die Tea-Party-Rhetorik
der letzten Monate war eine des Hasses und der Konfrontation, die teilweise genau so paranoid wie das irre Geschreibsel von Loughner waren, aber Loughner fühlte sich, wie
es scheint, nirgends zugehörig. Doch dies heisst noch lange
nicht, dass er in einem Vakuum
handelte.
Politische Attentäter gibt es, seit
es Politik gibt, aber die Gewaltbereitschaft potentieller Täter wird mit
grosser Wahrscheinlichkeit von der
täglichen Rhetorik im politischen Diskurs beeinflusst. Paranoide Gedanken sind das eine.
Wenn aber fast täglich in Radioprogrammen und sogar in sogenannten News-Channels ähnliches
Gedankengut verbreitet und indirekt zur Gewalt
aufgerufen wird, sieht sich so manche
instabile Person bestätigt.
Wer braucht denn noch
psychotische Stimmen im Kopf, wenn diese
von den Massenmedien frei Haus geliefert werden?
Nein, Loughner brauchte für seine Ideen keine Inspiration, aber in einer hasserfüllten
politischen Atmosphäre ist der Schritt
von der verbalen Gewalt, die überall gesprochen wird, zur konkreten Tat ein wesentlich kleinerer. Dies müsste allen zu
denken geben, doch leider passiert
dies viel zu wenig und Schuld wird nach dem
politischen Interesse der Kommentatoren verteilt.
Wenn solche Ereignisse,
solche Dramen am Ende nur noch
dazu dienen, Munition für politische
Schlachten zu produzieren statt sich auf politischen Dialog, Verständigung zu besinnen, darauf, dass es nicht
darum geht, Recht zu haben,
sondern das Richtige gemeinsam zu finden,
dann kann man wirklich davon ausgehen, dass mit diesen Kugeln
auch die Hoffnung auf die Heilung des Amerikanischen politischen Systems erschossen worden sind. Und wer das Niveau – auch in der Schweiz
– betrachtet, auf das der politische Diskurs auch in Europa immer häufiger absinkt (um dann dort zu verweilen),
kann man auch die hiesige Politkultur gleich mit abschreiben
und allen kleinen Hoffnungsträgern mit auf den Weg geben, dass,
selbst wenn sie für die Demokratie
ihr Leben gäben, dies jenen, die die Politik von links und rechts vergiften, herzlich egal wäre.
(von
Patrik Etschmayer/news.ch)