Die Hoffnung stirbt zuletzt: Ob Wikileaks Politikern Anstand beibringen kann?
von Patrik Etschmayer
10. Dez 2010
Der
Kampf um Wikileaks schlägt wahre Tsunamis und die Debatte bewegt sich in verwirrenden Haken. Persönliche Angriffe auf Julian
Assange werden als Begründung dafür genommen, dass Wikileaks generell schlecht sei und der Vertrauensverlust
in die Politik die Schuld jener wäre, welche
die Untaten und Peinlichkeiten
der Mächtigen enthüllen, und nicht jener, die sie begingen...
Wikileaks
ist in aller
Munde und wird es bleiben. Daran
wir auch die Verhaftung von Julian Assange nichts
ändern. Denn Assange mag zwar das Gesicht
von Wikileaks sein, der Vertreter, der an die Öffentlichkeit trat, doch er ist nicht Wikileaks. Genauso wenig wie
George Clooney Nespresso herstellt
oder Audrey Tautou für Chanel Parfums mixt.
Der
von staatlicher Seite verbreitete und von manchen Journalisten aufgenommene Vorwurf, Assange sei nicht offen, was sein Privatleben angehe, während er Staaten bloss
stelle, ist
absolut behämmert. Assange
hat – abgesehen vom Wahrheitsgehalt der von Wikileaks
verbreiteten Dokumente – im Gegensatz zu
Regierungen keine Rechenschaftspflicht darüber, wie er Steuergelder
verschwendet, Kriege anzettelt, Gefangene foltert, Grundrechte verletzt und Forschungsergebnisse
fälscht, weil
er dies schlicht nicht tut. Staaten haben Funktionen,
Verantwortungen und Rechenschaftspflicht
gegenüber dem Bürger. Und sie
vernachlässigen diese Pflichten völlig schamlos immer mehr.
Die schöne neue Datenwelt
hat den Regierungen und ihren
Geheimdiensten total neue Spielzeuge zur Überwachung, Fälschung und
Manipulation in die Hände gegeben.
Gleichzeitig haben multinationale Firmen ihren Einfluss auf die Politik stetig ausgebaut. Die Ausübung von Macht ist unübersichtlich
geworden und nicht zuletzt Lobby-Gruppen sorgen dafür, dass
die Grenzen zwischen Wirtschaftsinteressen und Politik
weiter verschwinden, während viele Medienkonzerne,
entweder aus finanziellen, oder besitz-technischen Gründen, auf investigativen Journalismus mit dem damit
einhergehenden grossen Aufwand verzichten: Ein Wunschtraum für die Mächtigen, der wahr zu
werden droht.
Viele Regierungen,
Grossbanken und multinationale
Organisationen haben während der Finanzkrise
das letzte Vertrauen, das sie nun vom Bürger
einfordern, wenn sie um ihre mediale
Intimsphäre kämpfen und ein Sperren von Wikileaks fordern, verspielt. Jetzt zeigt sich, dass immer noch
viele relevante Vorgänge geheim gehalten und vertuscht werden. Nicht weil deren
Offenlegung dem Staat selbst schaden
würde, sondern weil dies den Mächtigen ungelegen, unangenehm, peinlich oder für
ihre begehrte Position gar bedrohlich wäre.
Wikileaks
und die dafür kämpfende
Internet-Guerilla sind darum momentan unentbehrlich. Die Staaten und deren Institutionen müssen sich das Vertrauen, dass sie von den Bürgern verlangen, zurück
verdienen. Doch dafür müssten die Politiker als
erst aufhören, beleidigte Leberwurst zu spielen, wenn
Sie mit ihrem
wahren – und nicht dem von ihren PR-Fritzen gezeichneten – Bild in den Medien konfrontiert werden. Sie müssten endlich
wieder Anstand gegenüber ihren Wählern lernen und dies auch in ihren Handlungen
zum Ausdruck bringen. Sicher, das ist viel
verlangt von den Machteliten
der Welt, aber wenn Wikileaks dies mit weiteren Enthüllungen erreichen sollte, wäre die Menschheit womöglich einen grossen Schritt weiter. Man darf ja hoffen,
oder?