Der Tsunami und der
Strandstuhl
Patrik Etschmayer
10. Sep 2010
An der
Spitze der Behämmerten-Hitparade dieser Woche steht vermutlich
der Koran-Zündelnde (oder doch nicht)
Pastor Terry Jones, dessen Ankündigung,
200 Exemplare der heiligen Schrift der Mohammedaner durch Hitzezufuhr zu oxidieren (tönt
doch viel weniger Anrüchig, als «Verbrennen»), ein riesiges Medienecho
und weltweite Empörung auslöste.
Dabei darf man sich durchaus fragen,
was das ganze Theater soll,
hat doch - wenn die Behauptung, dass es einen Gott
gibt und dieser allmächtig sei - jener selbst soeben
in Pakistan vermutlich zehntausende
Exemplare des Korans in den Überschwemmungen
untergehen lassen.
Doch dies sind
rationale Einwände, auf die niemand
hört, genau so wenig wie Jones selbst vermutlich kapiert, dass er
auch ein ganzes Koran-Lagerhaus anstecken könnte, ohne dass er
damit den militanten Islamismus auch nur einen Millimeter zurückdrängen könnte.
Nun ist der Mangel
an Rationalität ein Grundübel fast jeder Religion.
Die ungebremste Emotion fegt
die Wahrheit weg, wie ein Tsunami einen Strandstuhl. Und dafür muss man nicht mal soweit gehen, weder
nach Florida oder
nach Afghanistan. Da reicht
schon, als
aktuelles Beispiel, ein Blick nach
Berlin.
Der eben
erfolgte Abgang von Thilo Sarrazin aus dem Vorstand
der Deutschen Bundesbank erfolgte nach einer unglaublichen
Empörungs-, ja Hetzkampagne, die bereits losgegangen war, bevor das Buch auf dem Markt
war.
Dass dabei von 'ketzerischen' Ideen die Rede war, von 'unerträglichem' Gedankengut, sollte einen sofort aufhorchen
lassen. Rief er denn zum Völkermord auf? Nein. Alle seine Thesen, ob man sie nun mag, oder
nicht, liegen in dem Bereich, wo
man eigentlich eine zivilisierte Debatte führen müsste. Die Probleme, die er anspricht, werden in der Öffentlichkeit durchaus auch wahrgenommen.
Nun könnte man darüber reden, streiten, die Fakten suchen und dann anhand der
offen geführten Debatte nach Lösungen
suchen.
Doch soweit darf
es nicht kommen, denn unterdessen
herrscht bei uns zwar nicht
die Scharia, aber die
«Political Correctness», kurz «PC». Religionen müssen nämlich keineswegs was mit Gott und Göttern,
Engeln und Dämonen zu tun haben.
Es reicht, ein
Glaubenssystem zu etablieren, das gewisse Ideale verherrlicht und gewisse andere Dinge verteufelt. Irgendwann in den 80ern hatte es mit löblichen
Bestrebungen angefangen, Ausdrücke, die diskriminierend verwendet wurden, aus dem alltäglichen
Sprachgebrauch zu verbannen.
Und jedesmal,
wenn ein bestimmtes Wort wieder negativ benutzt wurde, erfuhr es
auch wieder seine Verbannung. Irgendwann ging es über
die reine Sprache hinaus und sogar ganze Diskussionen wurden verbannt, mit der Hoffnung,
die damit verbundenen Probleme so aus der Welt zu schaffen.
Die Populisten
der Welt danken herzlich dafür. Es ist nämlich
kein Zufall, dass gerade seither
eine Extremisierung der Politik stattgefunden
hat. Wenn aus dogmatischen Gründen Probleme ignoriert werden, hat dies zwei Effekte: Zum einen
können so aus kleinen Problemchen grosse Probleme werden und zum anderen können politische Randgruppen daraus Kapital schlagen und an Macht gewinnen.
«PC» ist dabei gleich verheerend wie der radikale
Islamismus oder die krude Religiosität der amerikanischen Rechten. Mit dem
Vorwand der Toleranz wird so Leuten wie Hani Ramadan, der weiterhin Steinigungen
verteidigt, Platz in den Medien und eine Arbeitserlaubnis gegeben und Deutschland
verpasste es während Jahren, die Immigrationsprobleme, die absolut
real sind, anzugehen.
«PC» gefährdet
die Demokratie, gerade weil sie
vorgibt, diese, indem unbequeme Debatten unterdrückt werden, zu schützen
und sie gefährdet gleichzeitig jene, die sie vorgibt zu
beschützen. Wenn Minderheitenprobleme, Sozialbetrug
und ähnliche Reizthemen aus dem Diskurs
ausgeschlossen werden, werden die dort
schlummernden Probleme und deren Ursachen nicht angegegangen, was Populisten umso mehr Munition liefert.
Wir müssen - und die Presse ist dabei
auch angesprochen - in unserer und für unsere Demokratie endlich wieder zu streiten lernen,
statt einfach auf vordefinierte Buh-Männer zu zeigen und so zu tun, als
wäre alles gut. Vor allem, weil viele Wähler längst den Kanal voll haben
von der ständig zelebrierten Schein-Harmonie.
Vor diesem Hintergrund
ist der Trubel
um die angekündete Koran-Verbrennung
eigentlich eine Absurdität der Sonderklasse, wenn man bedenkt, dass auch
in den westlichen Medien
den 200 Büchern momentan mehr Aufmerksamkeit als Sakineh Ashtiani
geschenkt wird, der im Iran immer
noch die Steinigung für einen Mord
und einen Ehebruch, die sie vermutlich nie begangen hat, droht. Wo
bleiben die politisch Korrekten, wenn man sie braucht?