Ein Schlussstrich im Interesse des Landes
Alfred
Mettler, Finanzprofessor*
«Inakzeptable Erpressung», «brutaler Wirtschaftskrieg», «die Schweiz im Griffe
der Würgeschlange», «für eine Demokratie
unannehmbar» – die seit langem kritischen Töne sind seit
vergangenem Mittwoch nochmals schriller geworden. Das ist aus Schweizer Sicht
verständlich, haben doch die Entwicklungen im Steuerstreit mit den USA immer wieder schmerzhafte Wunden verursacht und tiefe Narben hinterlassen.
Die Situation, praktisch ohne
realistischen Manövrierspielraum,
tut unserer schweizerischen
Seele extrem weh, könnte aber
endlich zum Kulminations- und damit gleichzeitig Ausgangspunkt einer neuen Ära
werden.
Das
Zusammenwirken von Banken, Steuern und Politik gleicht einem komplexen
Spiel, einer Mischung aus Schach (Wer
sieht die meisten Züge voraus?), Poker (Wer blufft besser?),
Monopoly (Wer besetzt am raschesten strategisch wichtige Positionen?) und Fussball (Wer hat das schlagkräftigste Team?). Gespielt
wird vordergründig um verschiedene Steuerphilosophien, Klassifizierungen von Steuerdelikten
und Informationsaustauschkonzepte. Im Hintergrund werden aber auch
Finanzzentren neu positioniert, Einnahmequellen erschlossen und politische Positionen verteidigt.
Lange
Zeit lief das Spiel bestens für die Schweiz, über Jahrzehnte
konnte man von einer «Fünfer und Weggli»-Situation profitieren. Zwar wurden der Finanzplatz
und sein Bankgeheimnis argwöhnisch von der Welt beobachtet, fallweise kritisiert, aber immer auch ein
Stück weit bewundert – und vor allem toleriert. Grosse Mengen von anlagesuchendem Kapital flossen in die Schweiz, was dem Finanzplatz bzw. dem Land enorme Einnahmen brachte und ihm ermöglichte, ein grosses und hervorragendes Finanz-Know-how aufzubauen. Es waren sprichwörtlich goldene Zeiten. Dazu darf man stehen,
jeder andere Finanzplatz in derselben
Situation hätte wohl gleich gehandelt.
Hans
J. Bärs Statement im Jahre 2004 war in der Sache richtig: Das Bankgeheimnis machte reich, aber auch
träge, selbstsicher, unkompetitiv. Klar wurde dies, weil das Spiel neu definiert wurde.
Die globale Welt verlor mehr und mehr die Toleranz gegenüber unversteuerten Geldern, internationale Gremien wie die OECD und die G-7 bzw. später die G-20 begannen darüber zu diskutieren
und zu intervenieren, Informanten und Datendiebe wurden plötzlich für den Verkauf von Bankdaten-CDs grosszügig entschädigt. Die Schweiz traf dies unvorbereitet, die ersten Reaktionen waren immer gleich:
ignorieren, verteidigen, abstreiten, den Gegner sich die Zähne ausbeissen lassen.
Das
erste Drittel des neu definierten Spiels ging 2010 zu Ende.
Die Schweiz machte dabei keine besonders
gute Figur. Eine Kombination von Pech (Finanzkrise als Auslöser, Brad Birkenfeld als Super-Joker für die USA), unglücklichem Agieren der Regierung
(anfängliches Abseitsstehen
in der sich entwickelnden OECD-Diskussionen, Nicht-Eingehen auf das Amtshilfegesuch
der USA von 2008), Anwendung
von Notrecht (Datenlieferung
an die USA im Februar 2009)
und einem komplizierten rechtlichen Prozedere, bis der UBS-Staatsvertrag
endlich greifen konnte (unter Einbezug
von Bundesverwaltungsgericht, Bundesgericht
und Parlament), führten zu einer konstanten
Verteidigungsposition – gepaart
mit teilweise massloser Selbstkritik in der einheimischen Presse. Der Ruf
des Finanzplatzes bekam Kratzer ab.
Das
zweite Spieldrittel von
2010 bis 2013 lief für die Schweiz besser. Bundesbern brachte mit der
Gründung des Staatssekretariats
für internationale Finanzfragen (SIF) Ruhe und Kompetenz in die Verhandlungen und professionalisierte
das Spiel durch den Einbezug
der obersten politischen Ebene. Die Gegenspieler blieben jedoch auch nicht
untätig und zogen auf allen Fronten ein
Powerplay auf: Fatca, Globallösung, Abgeltungssteuer, Weissgeldstrategie, automatischer
Informationsaustausch usw.
– es gab ständig wechselnde Zielfunktionen und Positionsbezüge. Zeitweise wusste man nicht mehr, wer nun Mitspieler,
Gegenspieler, Schiedsrichter,
Coach, Zuschauer, Supporter oder
Überwachungsorgan war. Bundesrat
und SIF taten das Möglichste, um die komplett verfahrene Situation zu bereinigen, mussten aber einsehen, dass die Schweiz die Regeln nicht diktieren
kann. Kein Wunder, dass Politik
und Presse zeitweise die Beherrschung verloren.
Das
letzte Drittel wird jetzt angepfiffen,
und die Schweiz hat gute Chancen, das Ruder herumzuwerfen,
wenn sie sich der neuen
Spielsituation anpasst. Klar ist, dass
es in Zukunft nur noch den Fünfer
oder das Weggli geben wird. Das Bankgeheimnis in seiner ehemaligen
Form wird sehr bald nicht mehr existieren,
weder gegenüber inländischen noch ausländischen Kunden, sondern durch verschiedene
bilaterale und multilaterale
Lösungen ersetzt. So what? Ob Weissgeldstrategie, Abgeltungssteuer oder automatischer Informationsaustausch:
Entscheidend ist der Kampf um ein
«level playing field». Der schweizerische
Finanzplatz ist stark positioniert und kann mit allen Lösungen
leben, solange sie für alle
Spielteilnehmer analog gelten.
Dafür muss man sich aber aktiv, mit
einer Stimme, aller Kraft und auf allen Ebenen einsetzen – politisch, kommunikativ, wirtschaftlich, wissenschaftlich.
Für die Fortsetzung
des Spiels ist eine abschliessende Lösung des
Problems mit den USA unabdingbar.
Dazu müssen Daten geliefert und Bussen bezahlt werden. Die vorliegende Variante ist relativ
gesehen noch die bestmögliche, und sie folgt dem rechtlichen
Rahmen der Doppelbesteuerungsabkommen. Ob das Parlament
oder der Bundesrat die Datenlieferung ermöglicht, ist sekundär. Es werden harte Worte in der politischen Diskussion und in den parlamentarischen
Beratungen fallen. Diese mögen wichtig sein
und eine kathartische Wirkung haben. Zielführend ist aber nur eine
definitive Erledigung. Ein Schlussstrich unter die ganze Angelegenheit ist unbedingt im
Interesse des Landes, des Finanzplatzes sowie des gesamten Spiels von Banken, Steuern und Politik.
*Alfred
Mettler ist Finanzprofessor an der Georgia
State University in Atlanta (USA); er lebt seit 1998 in den USA.