Amerika stellt die Weichen neu

 

Andreas Rüesch

 

Geschwächt vom jahrelangen parteipolitischen Hickhack, aber befreit vom Druck, sich nochmals einer Volkswahl stellen zu müssen, beginnt Barack Obama am Sonntag seine zweite Amtszeit an der Spitze der Vereinigten Staaten. Mit welcher Botschaft er sich tags darauf vor dem Capitol an die Nation wenden wird, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Etwas wird in seiner Rede allerdings bestimmt nicht fehlen: das Wort «neu». Es ist eine rhetorische Zutat, deren Würze schon Obamas Vorgänger zu schätzen wussten. Präsident Bush senior sprach 1989 von einer «neuen Brise» und später von einer «neuen Weltordnung», die mit dem Ende des Kalten Krieges eine Ära der Harmonie ermögliche. Auch sein Nachfolger Clinton beschwor den Untergang der «alten Ordnung» und die Entstehung einer «neuen», freieren Welt unter amerikanischer Führung. Inzwischen ist der Ausdruck «neue Weltordnung» wohl zu abgegriffen, als dass Obama damit noch Aufbruchstimmung erzeugen könnte. Aber auf der Weltbühne lässt sich eine veränderte Ordnung durchaus feststellenwenn auch eine, in der sich die Rolle der Amerikaner stark gewandelt hat.

Zuschauer in Mali

 

Die Haltung der USA gegenüber den Konflikten in Mali und Afghanistan hat diese Veränderung in den letzten Tagen gleich zweifach illustriert. Mit ihrer Passivität angesichts der französischen Intervention in Mali signalisieren die Amerikaner, dass sie künftig grösste Vorsicht anwenden wollen, bevor sie sich in einen Krieg hineinziehen lassen. Washington hat den Militäreinsatz begrüsst, die Anfrage aus Paris für logistische Hilfe zunächst aber auf die lange Bank geschoben. Zwar ist Frankreich es gewohnt, im Alleingang auf afrikanischem Boden einzugreifen. Doch die Operation «Serval» in einem Wüstengebiet von der Grösse Frankreichs ist ungleich anspruchsvoller als die punktuellen Militäraktionen der letzten Jahre in Côte d'Ivoire, Somalia und Tschad. Präsident Hollandes Ziel, die Stabilität in Mali wiederherzustellen, lässt sich nur mit einem jahrelangen, international breit abgestützten Kraftakt erreichen. Neu ist, dass die USA nicht instinktiv zu einer Führungsrolle innerhalb einer solchen «Koalition der Willigen» drängen. Bereits im Libyen-Krieg hatten sie nach aussen hin den Franzosen den Vorrang gelassen. Die Amerikaner übernahmen damals aber, ohne dies an die grosse Glocke zu hängen, einen beträchtlichen Teil der Lufteinsätze und halfen den Europäern aus, als diesen die Munition ausging. Obama nannte dies «Führung von hinten», was ihm einigen Spott eintrugaber um einen Führungsanspruch handelte es sich gleichwohl. Davon kann in Mali keine Rede mehr sein.

 

Neu ist auch, dass sich die USA in einer Mission für nicht zuständig erklären, die sie noch vor kurzem als Teil ihres eigenen «Kriegs gegen den Terror» betrachtet hätten. In Mali geht es darum, Jihadisten die Kontrolle über ein riesiges Gebiet zu entreissen, in dem sie sich frei bewegen und Attentate wie soeben in Algerien planen können. Die in Nordmali wütenden Islamisten haben bisher zwar nicht zu Terrorakten in Übersee aufgerufen. Aber in der Bush-Doktrin von 2001 hatten die USA gelobt, gegen sämtliche Länder vorzugehen, die Terroristen Unterschlupf gewährten. Die Regierung listet derzeit weltweit sechs solcher «safe havens» mit Terroristen aus dem Dunstkreis der Kaida auf. Überall haben die Amerikaner in den letzten Jahren militärisch eingegriffen, wenn auch oft nur durch einzelne Nadelstichoperationen. Die einzige Ausnahme ist Mali, wo die USA bisher selbst auf den Einsatz bewaffneter Drohnen verzichteten. Diese Zurückhaltung spiegelt ein neues Denken in Washington: Sofern für andere Länder Gewichtigeres auf dem Spiel steht, holen die Amerikaner ihnen nicht die Kastanien aus dem Feuer. Für Frankreich hat diese Region tatsächlich die grössere strategische Bedeutung. Paris geht es dabei nicht allein um Mali, sondern auch um Interessen in den Nachbarländern, von der Energieindustrie in Algerien bis zum Uranabbau in Niger, die alle durch einen ungebremsten Vormarsch der Islamisten gefährdet wären.

 

Kühler Pragmatismus regiert in Washington nun auch in der Afghanistan-Politik. Vom Ziel, am Hindukusch einen Frieden herbeizuführen und eine Rückkehr der Taliban an die Macht zu verhindern, scheint sich Obama still verabschiedet zu haben. Die Zeichen stehen auf Abzug, ganz unabhängig davon, wie sich die Lage nach dem Ende der Nato-Mission in zwei Jahren präsentieren wird. Während die Generäle zu einer robusten Militärpräsenz über das Jahr 2014 hinaus raten, dringt das Weisse Haus auf ein minimales Restkontingent, das vermutlich nur zu punktuellen Anti-Terror-Operationen in der Lage wäre. Die schlecht ausgebildeten afghanischen Streitkräfte werden daher schon bald weitgehend auf sich allein gestellt sein. Das Überleben der Zentralregierung wird dann davon abhängen, ob das Ausland wenigstens die zugesagte Finanzhilfe weiter leistet. Kein Wunder, dass sich viele Afghanen auf eine Verschärfung des Bürgerkriegs einstellen und manche Warlords beginnen, ihre Milizen wieder aufzubauen.

Selbstbeschränkung mit Folgen

 

Schon vor einem Jahr hat die Administration Obama den Wandel in einem Strategiepapier verkündet. Amerika werde künftig auf «innovative Low-Cost-Ansätze mit kleinem militärischem Fussabdruck» setzen, hiess es dazu gut Deutsch: Grosseinsätze wie im Irak oder in Afghanistan soll es nicht mehr geben. Der Spardruck auf das Pentagon wird weiter steigen, wobei vor allem die Landstreitkräfte ihre Existenzberechtigung infrage gestellt sehen werden. Vor der Wahl, den Sozialstaat zu trimmen oder vom Militärbudget eine Friedensdividende abzuschneiden, wird sich Obama zweifellos für Letzteres entscheiden. Personell hat er die Weichen dazu schon gestellt. Mit John Kerry als Staatssekretär und Chuck Hagel als Pentagonchef hat er zwei Minister ausgesucht, die Interventionen im Ausland extrem skeptisch gegenüberstehen. Für die Weltpolitik bleibt all dies natürlich nicht ohne Folgen. Auch wenn ein Militärschlag gegen Iran derzeit sicher keine gute Idee wäre, ist es ebenso wenig ratsam, von vornherein zu signalisieren, dass man militärische Optionen von sich weist. Aufatmen kann auch Syriens Diktator Asad, der sich von den «innovativen Low-Cost-Ansätzen» Washingtons nicht sonderlich bedroht fühlen muss. Den Amerikanern ist ihre Zurückhaltung nicht zu verübelnfür ihre Eingriffe in der islamischen Welt haben sie ohnehin vor allem Hass geerntet. Aber es wäre fatal, die Folgen dieser neuen Rollenverteilung zu übersehen. In Mali bedeutet sie, dass das Risiko eines Scheiterns steigt, in Syrien, dass dieses Land immer tiefer im Bürgerkrieg versinkt und auf Jahre hinaus zu einem Hort der Instabilität verkommt.