Die wirklich schwierigen Entscheidungen vertagt

 

Andreas Rüesch

 

Mit der Einigung über die Neujahrstage haben die USA den Sturz vom «fiscal cliff» abgewendet. Wer sich angesichts dieser Nachricht erleichtert zurücklehnen will, sollte zuerst aber das Kleingedruckte lesen. Es wäre nämlich ein Irrtum zu glauben, dass sich Amerika nun gewissermassen in Sicherheit gebracht hat. In Wirklichkeit ist das Land der Lösung seiner Finanzprobleme keinen Schritt näher gerückt. Die Fixierung auf das Stichdatum des 1. Januar mit seinen automatischen Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen hat den Blick darauf verstellt, dass die eigentliche Gefahr nicht von diesem angeblichen «Abgrund» ausgeht, sondern vom haushaltpolitischen Abhang, auf dem die Amerikaner bereits seit Jahren in die Tiefe schlittern.

 

Obwohl kein Zweifel daran bestehen kann, dass die jährliche Anhäufung von Billionendefiziten ins Verderben führt, weigert sich die politische Elite, die Konsequenzen zu ziehen. Die Verhandlungen der letzten Wochen hätten eine Chance sein können, das Steuer herumzureissen. Im Wissen um seine eigene Verantwortungslosigkeit hatte sich der Kongress vor anderthalb Jahren eine Frist bis Ende 2012 gesetzt, nach deren Ablauf automatische Kürzungen in Kraft treten sollten, falls bis dahin nicht andere Einsparungen gefunden würden. Der nun gefundene faule Kompromiss weicht den harten Entscheidungen aber ein weiteres Mal aus. Fast die gesamte Bevölkerung kann mit den bisherigen, tiefen Steuersätzen weiterleben, während das Stichdatum für die Ausgabenkürzungen um zwei Monate hinausgeschoben wurde. Ein ordentliches Budget für das laufende Jahr fehlt dem Land weiterhin, und das Grundproblem des unbezahlbaren Sozialstaates wird nicht einmal angetastet. Wenn Präsident Obama und der Kongress schon für derart flaue Beschlüsse ungezählte Nachtsitzungen brauchen, wie sollen sie dann die wirklich schwierigen Herausforderungen meistern?

 

In einer engstirnigen parteipolitischen Optik kann sich Obama beglückwünschen. Er hat sein Ziel erreicht, dass erstmals seit zwei Jahrzehnten die Steuern für Spitzenverdiener steigen. Zudem schaffte er es, den Republikanern diese Kröte in den Rachen zu stopfen, ohne Hand zu weitreichenden Einsparungen bieten zu müssen. Ob er langfristig als Sieger dastehen wird, ist aber fraglich. Künftige Historiker werden Obama vielleicht einmal als mittelmässigen Präsidenten beurteilen, dem das nötige Rückgrat fehlte, um die bequeme Schuldenmacherei zu beenden. Seine Verantwortung als Staatsoberhaupt bestünde darin, die Nation darauf vorzubereiten, was sie sich künftig nicht mehr leisten kann. Stattdessen zieht es Obama vor, die Schuldenfrage in populistischer Weise als Konflikt zwischen Normalbürgern und Reichen darzustellen.

 

In dieser Hinsicht haben die Beschlüsse vom Neujahrstag wenigstens etwas Gutes: Die Amerikaner werden bald bemerken, dass trotz den höheren Steuern für Spitzenverdiener das Loch in der Bundeskasse nicht wesentlich kleiner geworden ist. Dies könnte die Einsicht fördern, dass der Feldzug gegen die «Privilegierung der Reichen» nur ein Ablenkungsmanöver der Demokraten war und dass an schmerzhaften Sparmassnahmen kein Weg vorbeiführt.