Ein Wendepunkt in Syrien?

 

Der Einsatz von Artillerie gegen Zivilisten in der Ortschaft Kafr Hula hat den Druck auf Asads Regime erhöht. Ein Nachgeben ist unwahrscheinlich.

 

Martin Woker

 

Kafr Hula. Der Name dieser rund 20 Kilometer nordwestlich der Stadt Homs gelegenen Ortschaft markiert einen neuen Tiefpunkt in Syriens Geschichte. Obwohl die blutigen Ereignisse, die am Freitag zum Tod von über hundert Personen führten, nicht restlos geklärt sind, ist über Pfingsten eine diplomatische Offensive in Gang gekommen, deren Folgen für das Asad-Regime noch nicht absehbar sind. Von Bedeutung ist, dass sich im Uno-Sicherheitsrat auch Russland und China hinter die unmissverständliche und scharfe Verurteilung der Untaten in Hula stellten. Zweifellos haben die erschütternden Videobilder getöteter Kinder und Frauen jenen öffentlichen Aufschrei erzeugt, der die Diplomatie zum Handeln zwang.

 

Angst vor Desertion

 

Seit Ankunft der ersten Uno-Beobachter am 12. April hat sich die Situation verändert. Obwohl nach Angaben der Opposition die Repression anhält und unter der aufbegehrenden Bevölkerung einen gleichbleibenden Blutzoll fordert, hat sich die Lage zuungunsten von Asads Regierung entwickelt. Die Präsenz der inzwischen 280 Beobachter führte dazu, dass die Konfrontation weniger offen verläuft und Belagerungen, wie etwa jene des Viertels von Bab Amru in Homs, nicht länger möglich sind. Eine Folge davon ist, dass der bewaffnete Widerstand die von ihm kontrollierten Gebiete ausdehnen und seine Positionen absichern konnte. Auch die jüngsten Bombenattentate in Damaskus und Aleppo mit unklarer Urheberschaft lassen auf ein verändertes Vorgehen der stark zersplitterten syrischen Opposition schliessen.

 

Kafr Hula liegt in einer Region, die sich teilweise unter Kontrolle der aus desertierten Soldaten bestehenden Freien Syrischen Armee befindet. Die reguläre Armee hat inzwischen keine andere Möglichkeit mehr, als mit Artillerie gegen Widerstandsnester vorzugehen. Sie vermeidet auf diese Weise eigene Verluste. Wichtiger aber ist, dass die Soldaten absichtlich nicht in den Nahkampf geschickt werden, um das Risiko von massenweisen Desertionen zu vermeiden. Wer in Kafr Hula aus naher Distanz Frauen und Kinder erschossen hat, ist Gegenstand weiterer Untersuchungen. Der Verdacht, dass es sich dabei um Angehörige der regimetreuen alawitischen Shabiha-Miliz handelte, ist naheliegend.

 

Es wird schwierig und aufwendig sein, unter den herrschenden Umständen in nützlicher Zeit den genauen Verlauf der gesamten Ereignisse zu eruieren. Währenddessen birgt das Verbrechen den Stoff für weitere Kriegspropaganda auf beiden Seiten. Regierungsvertreter sehen das Vorgehen gegen Deserteure als legitimen Einsatz und distanzieren sich von den Shabiha. Die Rebellen wiederum haben über den Syrischen Nationalrat mitteilen lassen, sie machten sich Gedanken über einen bewaffneten Befreiungskrieg, wenn die internationale Gemeinschaft keinen Weg zum Schutz der Zivilisten finde.

Was tun?

 

Was aber muss, soll oder kann diese «internationale Gemeinschaft» tun? In der am Sonntag verabschiedeten, völkerrechtlich nicht bindenden Presseerklärung des Uno-Sicherheitsrats wird die syrische Regierung an den Sechs-Punkte-Plan des Uno-Emissärs Annan erinnert, der die Verwendung von schweren Waffen in besiedeltem Gebiet untersagt. Über die Wirkung der Deklaration sollte man sich keine Illusionen machen, wie die am Montag gemeldeten Artillerieangriffe gegen Teile der Stadt Hama zeigten. Moskau wird das Asad-Regime nicht morgen fallen lassen. Das Interesse an diesem letzten Alliierten im Nahen Osten ist allzu gross.

 

Vonseiten der Nato kamen bisher keine Signale einer möglichen Intervention. Denkbar wäre die Errichtung sogenannter Sicherheitszonen für zivile Flüchtlinge. Solche humanitären Korridore erforderten eine Kontrolle des Luftraums wie einst im Nord- und Südirak während des Saddam-Regimes. Die enge Verzahnung der syrischen Bevölkerung in Gegner und Befürworter des Regimes lässt ein solches Vorgehen als undurchführbar erscheinen.

 

Die Bewaffnung der Opposition, wie von Katar und andern Golfstaaten postuliert und aktiv betrieben, birgt die Gefahr eines vollen Entflammens des Bürgerkriegs. Von einer solchen Radikalisierung profitierten vor allem religiös verblendete Selbstmordattentäter aus dem Umfeld der Kaida, wie sich im Irak überdeutlich gezeigt hat. Erste Anzeichen einer solchen Entwicklung sind in Syrien bereits auszumachen. Eine gewisse Erwartung besteht schliesslich gegenüber der Türkei, die sich in der Region als neue Ordnungsmacht positiv profilieren könnte. Doch auch damit ist nicht zu rechnen. Allein schon darum, weil Ministerpräsident Erdogan der von ihm zurechtgestutzten Armee keine Gelegenheit zur Profilierung bieten will.

 

So wird denn «Hula» voraussichtlich nicht zum Wendepunkt, sondern zum traurigen Wegzeichen im zähen Überlebenskampf eines mörderischen Regimes, dessen Zeit definitiv abgelaufen ist.