Österreich: Gegen »Wiens Demjanjuk«
liegt nichts vor
Kümmern sich demnächst deutsche Staatsanwälte
um Josias Kumpf?
Von
René Heilig
17.07.2009
Die US-Behörden
haben in den vergangenen drei Jahrzehnten 107 ehemalige Nazi- und Kriegsverbrecher
abgeschoben. Jüngst Iwan Demjanjuk. Der Nazi-Gehilfe ist angeklagt
wegen Beihilfe zum Mord in 27 900 Fällen. Pech für
ihn, dass er statt in Wien in München gelandet ist ...
Der Skandal begann
am 3. April mit einem
Telefonanruf beim Sozialamt in der Landeshauptmannschaft Vorarlberg. Jemand erkundigte sich nach Sozialhilfe für einen Mann namens Josias Kumpf.
Der sei gerade
aus den USA heimgekehrt.
Die Beamten recherchierten
und informierten eiligst
den Sicherheitsdirektor Elmar
Marent. Der jedoch stellte
fest, dass es weder »strafrechtliche noch verwaltungsrechtliche Gründe« gibt, »um polizeilich tätig« zu werden. Die Taten des mutmaßlichen Massenmörders sind
laut Marent nach österreichischem Recht verjährt. Kumpf war damals zudem noch minderjährig,
erst 17 oder
18 Jahre alt. Der Serbe soll – wie
Demjanjuk als sogenannter Travniki-Mann – in
SS-Diensten gestanden haben. Beispielsweise im KZ Sachsenhausen. Vorzuwerfen
sind ihm
vermutlich Untaten in Polen und Frankreich und in Travniki selbst. Er soll an
der Erschießung von 8000 Kindern, Frauen und Männern beteiligt gewesen sein. Gegenüber US-Vernehmern hat er bereits zugegeben, dass er »aufgepasst
habe, dass diejenigen, die noch nicht ganz tot waren oder noch
zuckten, nicht aus der Grube
kletterten«.
Kumpf wohnte wochenlang
in einem Einfamilienhaus in
Lochau am Bodensee. Dann stellten Kumpfs Verwandte den 83-Jährigen am 24. April in einem Rollstuhl vor dem Landeskrankenhaus
in Bregenz ab. Kumpf, pflegebedürftig, wurde
behandelt und am 18. Mai nach Rankweil überstellt.
In der Nacht
zum 6. Juni brachte die Caritas Kumpf dann nach Wien und quartierte den mutmaßlichen Mörder in einer Nobelwohnung in Döbling ein – mit 1000 Euro Miete pro Monat plus
24-Stunden-Betreuung.
Der Vorarlberger Grünen-Klubobmann Johannes Rauch ist dennoch empört: Es handle sich, so sagte er gestern
gegenüber ND, um einen mehrfachen Skandal. Erstens werfe die Tatsache, dass Kumpf sich völlig
frei und unbeobachtet im Land bewegen kann, ein bezeichnendes
Licht auf Österreichs Umgang mit Nazi-Verbrechern und die dazu beschlossene Verjährungsfrist. Dieser »schleißige, augenzwinkernde, zudeckende Umgang« mit Österreichs
Nazivergangenheit sei, so
Rauch, mitverantwortlich dafür,
»dass die neue Rechte in unserer Republik so stark ist«.
Zweitens sei es nicht hinnehmbar,
dass weder die Bundes- noch die Landesregierung einen Grund sahen, die Öffentlichkeit über Kumpf zu informieren.
Wer – drittens – diese exquisite Sonderbehandlung des mutmaßlichen
Nazi-Verbrechers mit dem Alltag von Asylsuchenden vergleicht, gerate zusätzlich in Wut. Die stecke man in ein Heim und schiebe sie so rasch wie
möglich wieder ab.
Bleibt Kumpf nun ohne Anklage? Wenn es nach
den österreichischen Behörden
geht, ja.
Doch es gibt auch
andere Möglichkeiten, den
SS-Helfer der Justiz zu übergeben.
In Spanien haben
Überlebende von Nazi-Lagern
Anklage gegen vier frühere KZ-Aufseher
erhoben. Obwohl sich deren Untaten
nicht in Spanien ereignet haben, akzeptierte das Madrider Gericht die Anklage. Allein in den KZ Mauthausen, Sachsenhausen und Flossenbürg, in denen neben Demjanjuk Anton Tittjung, Josias Kumpf und Johann Leprich als Aufseher walteten,
starben mindestens 4300 spanischen Gefangene, begründete Richter Moreno die Zuständigkeit
der spanischen Justiz und die Aufnahme des Verfahrens.
Es gibt möglicherweise noch eine andere
Variante, Kumpf vor ein Gericht
zu bringen. Nach dem
Tatort-Prinzip: Sachsenhausen
liegt in Brandenburg. Hat Kumpf
sich dort
an Verbrechen beteiligt, wäre die Staatsanwaltschaft Neuruppin zuständig. Und was die bei intensiven Ermittlungen zutage fördern würde, könnte für eine
Anklage, ähnlich der gegen Demjanjuk,
reichen.