Und alle sind verrückt

 

von Patrik Etschmayer

 

21. Mai 2010

 

Vermutlich geht es Ihnen, geschätzte Leser, mitunter auch so und sie werden von dem unheimlichen Gefühl beschlichen, dass ein Gutteil der Menschheit mehr oder weniger verrückt sein könnte, ja, eigentlich verrückt sein muss.

 

Denn welcher Konzern mit geistig gesunden Entscheidungsträgern bohrt schon in 1.5 km Meeres-Tiefe nach Erdöl, ohne ausreichende Sicherungsmassnahmen zu treffen? Welcher Staat mit nicht durchgeknallten Politikern an der Spitze nimmt schon Schulden auf, versteckt diese und hofft, dass der Schwindel nie auffliegen würde? Welche Banken mit einem nicht absolut bescheuertem Management geben schon Kredite an Leute, von denen klar ist, dass diese nicht zurückzahlen können und welcher Finanzkonzern ist so dumm, solchen Schrott auch noch in Massen zu kaufen? Ja, welche Wirtschaftsführer können allen ernstes glauben, dass sich gegenseitig vermehrendes Geld ohne eine dahinter stehende Leistung einen Wert darstellen könnte?

 

Wie gesagt: Sind wir alle verrückt? Oder zumindest potentiell irr? Die Antwort ist ein ernüchterndes «Ja», zumindest was verschiedene klinisch bekannte Geisteskrankheiten angeht.

 

Seit Langem stellen manche psychische Leiden wie Schizophrenie und Psychosen die Medizin vor Rätsel. Keine vorgeschlagene Ursache vermochte diese schrecklichen Krankheiten zufrieden stellend zu erklären. Eineiige Zwillinge, von denen nur einer erkrankte, zeigten, dass es nicht erblich sein kann und auch kaum an elterlichen Einflüssen liegt. Ebenso führte die Suche nach Umwelteinflüssen zu keinen Resultaten. Aber etwas fiel in 250 Studien auf: eine Geburt im Winter erhöht die Gefahr, an Schizophrenie zu erkranken um 5 – 8%.

 

Der verheerende, in Schüben fortschreitende Krankheitsverlauf macht alles noch rätselhafter, denn diese und manche andere Symptome von Erkrankten deuteten auf eine Infektion hin. Allein, es liess sich im Blut nirgends ein Virus finden. Verschiedenen Forschern liessen diese Widersprüche keine Ruhe und nach Jahren harter Labor-Arbeit fanden Sie etwas ziemlich schockierendes: Alle Menschen tragen einen solchen Virus namens HERV-W im eigenen Erbgut mit sich herum.

 

Vor einigen Jahren wurde viel von sogenannter «Junk-DNA» geredet, nutzlosem Erbgut, dass scheinbar zu nichts gut ist. Nun stellte sich heraus, dass viele dieser DNA-Schnippsel effektiv Retroviren sind, die manche unserer fernen Vorfahren befallen haben. Normalerweise hat dies für Nachfahren von angesteckten Individuen keine Folgenwerden hingegen Keimbahnzellen, die Ei- und Samenzellen erzeugen, befallen, kann sich so ein Virus in das Erbgut einbauen und wird weiter gegeben.

 

Dieser Befall fand schon vor 60 Millionen Jahren bei einem Lemur-ähnlichen Tier, einem gemeinsamen Vorfahren von Affen und Menschen, statt. Und seither... spinnen wir? Nein. Nicht ganz. Unsere DNA arbeitet hart, um zu verhindern dass dieser und viele andere Viren, die sich in ihr eingenistet haben, aktiv werden können. DNA besteht aus zwei Strängen von Aminosäuren, die sich um einander winden. Die Oberfläche der DNA erzeugt Eiweisse und ist dafür zuständig, dass unsere Zellen ihre Arbeit ausführen. Die Bereiche, die stumm sein sollen (im Hirn zum Beispiel die Funktionen der Leberzellen), werden eng umeinander gedreht, so dass die Oberfläche nicht «sichtbar» ist. Das Gleiche wird mit diesen blinden Virus-Passagieren gemacht.

 

Doch Infektionskrankheiten bei Neugeborenen wie Grippe, Herpes, Toxoplasmose etc. können HERV-W aufwecken, was zu einer chronischen, immer wieder aufflammenden Entzündung des Hirns führt, die den Erkrankten Schritt für Schritt aus dem Leben reisst. Dass scheinbar auch multiple Sklerose vom gleichen Virus verursacht wird, macht diesen Parasiten noch erschreckender.

 

Sollten sich diese Forschungen als richtig erweisen, öffnet sich womöglich ein neuer, besserer Weg zur Behandlung dieser Krankheiten. Und viele Eltern werden wenigstens nicht mehr von Schuldgefühlen gequält, wenn Sie wissen, dass sie nichts falsches gemacht haben.

 

Was uns wieder zur verrückten Menschheit zurück bringt. Denn 40% unseres Erbgutes besteht aus schwarzfahrenden Viren in der «Junk-DNA». Ist es denn absurd, auch in besonders machtgierigen, verantwortungslosen und egomanischen Politikern und Managern eine Fehlfunktion zu vermuten, einen Virus, der besonders asoziales Verhalten auslöst? Und wäre es nicht schön, wenn es sich herausstellen würde, dass solches Verhalten sogar heilbar wäre? Oder ist eine solche Idee einfach nur... verrückt?