Politischer Mord und Totschlag
von Patrik Etschmayer
Freitag, 26. März 2010
Die Gesundheitsreform
in den USA ist durch und
hat für uns in Europa eigentlich keine grossen Konsequenzen,
auch wenn sie für die Vereinigten
Staaten eine revolutionäre Umwälzung darstellt. Viel mehr als das Gesetz
selbst, fiel bei uns die heftige
Debatte darum auf und die zum Teil gewalttätigen
Reaktionen, welche seiner Verabschiedung folgten. Eingeschlagene Fensterscheiben bei Abgeordneten und sogar Morddrohungen sind die Spitze eines hässlichen Eisberges aus Hass, Paranoia und Rassismus. Und es wird immer schlimmer.
Eine Umfrage des Marktforschungs-Instituts «Harris Interactive» verdeutlicht dies.
So glauben
zum Beispiel 57% der befragten Republikaner,
dass Barack Obama ein
Moslem ist, 51% glauben, dass er die Souveränität
der USA einer Weltregierung übergeben wolle, 38% meinen, dass Obama «viele Dinge macht, die auch Hitler machte», 22% sind der Ansicht,
dass er wolle,
dass die «Terroristen gewinnen» und – und das ist wirklich der Hammer – 24% der befragten Republikaner
glauben, Barack Obama könnte
der Antichrist sein!
Sicher, Umfragen müssen immer mit
einem gewissen Mass an Skepsis betrachtet werden. Doch selbst
dann zeigt sich hier ein
Geisteszustand der republikanischen Wählerschaft, der den Boden der
Realität mit Höchstgeschwindigkeit verlassen
und in die Sphäre des Hass erfüllten
Wahnsinns abgehoben ist. Die Konsequenzen aus diesem Wahn
sind erschreckend: Es zeigt sich, dass
es in den USA eine recht grosse Wählerschaft
gibt, für die jeglicher politischer Dialog über die Parteigrenzen hinaus unmöglich ist... welcher christliche Wähler würde es denn
schon akzeptieren, dass die eigene Partei mit dem
Antichristen, der dazu ein Moslem ist, an einem Tisch
sitzt? Eben.
Doch woher kommt
dieser Irrsinn und hat dieser Polit-Rinderwahn auch für uns
Konsequenzen? Ein grosser Faktor in den USA sind die politischen Talk-Radios und der radikale rechte Fox-News-Fernsehsender. Diese Sender waren eine Reaktion
auf die Clinton-Regierung, mit
dem Ziel, den verhassten Präsidenten abzuschiessen. Dies Misslang zwar. Aber dafür
etablierte sich ein rechtes Kern-Publikum, das keine Informationen oder gar Wahrheit will. Sondern nur noch Meinungen.
Meinungen haben den fatalen «Vorteil», dass sie nichts
mit der Realität
zu tun haben
müssen, dafür mit umso mehr
Leidenschaft vertreten werden können. Zudem erfordert ein Weltbild, das auf Meinung aufbaut, keine Selbstkritik, kein Zweifel an eigenen Ansichten, keine Notwendigkeit, wirklich zu denken.
Es reicht, ein Feindbild zu haben
um die eigene politische Identität zu finden.
Solange sich dieser
Wahnsinn auf einige Rand-Wählergruppen beschränkte, war
das alles noch tolerierbar. Aber wenn selbst republikanische
Kongressabgeordnete Verleumdungen
und Unwahrheiten propagieren,
nur um den rechten Meinungsmachern zu gefallen, ist die Demokratie in Gefahr. Denn Politik soll
auf Basis der wirklichen
Welt und nicht aufgrund ideologischer Wahnvorstellungen gemacht werden. Ein solcher Dissens
jenseits der Vernunft schwächt die Demokratie, schwächt die Rechte des Volkes. Von einem geschwächten Staat profitieren nicht zuletzt Grosskonzerne,
die ihre Interessen so besser durchsetzen können und meist beide Seiten sponsern
um so das Feuer am lodern zu halten.
Doch so erschreckend das US-Beispiel auch scheint...
es hat Schule gemacht und hat sich auch schon in Europa
ausgebreitet. Bei fast jeder wichtigen Debatte – ob Immigration und Integration von Ausländern, Klimawandel, Wirtschafts-, Energie- und Bildungspolitik: Auch hier werden Fakten
je nach Parteilinie verdreht, verfälscht oder gar neu erfunden.
Deshalb wird der
Ton in der Politik bei uns immer
rüder und aggressiver, Attacken werden gegen Personen geritten und nicht gegen Positionen und Behauptungen. Die mediale Hirnwäsche zeigt auch in Europa und der Schweiz fatale Erfolge. Dies betrifft links und rechts. Dass die politische Mitte, in der früher Kompromisse
gesucht und vielfach auf gefunden wurden, immer mehr erdrückt
wird, ist kein Zufall.
Denn gute Kompromisse
erfordern einiges von den Politikern: Offenheit gegenüber anderen Ansichten, Respekt für die Gesprächspartner, die Bereitschaft, eigene Positionen aufzugeben, den Mut, diese Konzessionen
gegenüber der Partei und den Parteispendern zu vertreten und die Bereitschaft der Wähler, zu akzeptieren,
dass nicht alles immer so geht – und gehen kann – wie man es gerne will.
Aber in der Ära
der 20-Sekunden-Aufmerksamkeits-Spanne sind solche Konzepte
zum Untergang verurteilt... wer will schon Lösungen, wenn es in der
Politik ein wenig Mord und Totschlag gibt und der eigene, faule
Hass jederzeit ein bequemes Ziel finden
kann? Eben.