Verschneite Ablenkung
von Patrik Etschmayer
Montag, 15. Februar 2010
Die Welt hat momentan mal wieder fünf Ringe unter
den Augen. Die Zuschauer berauschen sich an den Leistungen «ihrer» Athleten in Vancouver, oder leiden, wenn
vier Jahre harter Vorbereitung nur mit einer
Niederlage vergolten wird. Der Jubel
der Schweizer über Simon Ammans Triumph auf der Normalschanze ist da nur
eine Stimme in einem riesigen, globalen Chor.
Die Ablenkung,
die einem die Sportler geben, ist mehr
als nur willkommen,
sie ist wirklich
notwendig, geben uns diese Spiele
doch die Hoffnung, dass menschliches Streben und daraus erwachsende Erfolge irgendwie messbar sind, dass gute
Leistungen belohnt werden und jene, die andere foulen, aus dem Wettbewerb
ausgeschlossen oder zumindest für zwei
Minuten auf die Strafbank müssen.
Der Sport gibt einem die Illusion, dass das Leben irgendwie berechenbar ist... wobei das Wetter aber auch schon bei
Olympia erste Stolpersteine
gesetzt hat und zum Beispiel die von den Schweizern lang ersehnte Abfahrt
immer noch nicht statt finden
konnte, während die
Snowboard-Wettbewerbe von einer
ständigen Karawane von Schneetransportern abhängig sind.
Dass dieser Winter leicht gaga ist, wissen wir schon
seit Längerem, aber schmerzhaft klar wurde es
vielen erst, als an manchen Orten die Streusalzvorräte ausgingen und sich die Strassen in wahrhaft winterlichem Gewand präsentierten. Das ging soweit, dass in Deutschland Autobahnen gesperrt werden mussten, während an der Ostküste der USA ganze Städte im
Schnee versanken und
Washington D.C. den Betrieb de-facto einstellte.
Derweil kehrt die vom Erdbeben vor
einem Monat versehrte Inselnation Haiti langsam wieder zu etwas zurück,
das halbwegs als Normalität bezeichnet werden könnte, in Tat und Wahrheit aber weiterhin
eine Katastrophe ist, nach deren
Bewältigung die anderen Probleme dieses Landes immer noch nicht
überwunden sein werden.
Ebenso darf angezweifelt
werden, dass die neueste Offensive der Alliierten in Afghanistan den lange
ersehnten Frieden bringen wird. Experten
rechnen mit einem noch lang
anhaltenden Kampf und betonen, dass auch
jetzt wieder die gleichen Fehler gemacht würden, welche schon bisher
alle Eroberer in diesem Friedhof der Supermächte scheitern liess.
Dass im Nachbarstaat
Teheran das immer diktatorischer
auftretende Regime an der atomaren Lunte
zündelt und mit immer bizarreren diplomatischen Vorstössen davon abzulenken versucht, trägt auch nicht unbedingt
zur weltpolitischen Stabilität bei.
Ebenso wenig die Schwierigkeiten von China, der selbst beanspruchten neuen Rolle als
Supermacht des 21. Jahrhunderts
nach zu kommen
und zum Beispiel demokratische Reformen zu zu lassen,
oder den Wechselkurs der eigenen Währung
endlich frei zu geben und damit
zu verhindern, dass durch diese
Wertverfälschungen neuen Blasen entstehen, bevor die Folgen der letzten verdaut
sind.
Womit man unweigerlich an Griechenland denken muss, eine Nation, die vom Rang der Wiege der
europäischen Zivilisation zum Bilanzfälscher der Europäischen Union abgestiegen ist – mit dem Resultat,
dass ganz Europa nun die Rechnung für diese Täuschung
(und das tolerieren dieser Lügen durch die EU) präsentiert wird. Wobei Griechenland ja nur der
kleinste der stinkende Fische im Euro-Teich ist.
Es dürfte wesentlich interessanter werden, wenn Spanien daran
gehen muss, die Folgen
seiner Immobilienkrise auszubaden.
Doch wenn man vor dem Fernseher
mit den Sportlern in
Vancouver mitfiebert, fällt
es einem leichter, das ganze Schlamassel zu vergessen. Bei den alten Griechen (hatten wir die nicht gerade schon?),
waren die olympischen Spiele die Zeit, in der alle bewaffneten Konflikte ruhten. Heutzutage sind sie die Zeit, wo man ohne schlechtes Gewissen vom Wahn
der Welt weg schauen kann. Zwar
auch nicht mehr das gleiche. Aber, man ist bescheiden
geworden, in den letzten
2000 Jahren.