Ardi ist an allem
schuld!
von Patrik Etschmayer
21. Dezember
2009
Wenn Sie sich
wieder einmal fragen, warum die verdammte Wirtschaft kollabiert ist und wem man die Schuld dafür zuschieben könnte... ich hätte
da einen Kandidaten für Sie: Dieser miese
kleine Kerl war 1.20 m
gross und wog knappe 50
Kilo und ist unter seinen Freunden als „Ardi“ bekannt.
Doch wenn Sie nun hoffen, von ihm etwas zurück
zu bekommen, muss ich Sie enttäuschen.
Nicht nur weil seine Heimat
Äthiopien ist und die dortige Justiz notorisch langsam arbeitet. Es liegt auch daran, dass
Ardi, dessen voller Name Ardipithecus Ramidus ist,
bereits vor 4.4 Millionen Jahren gelebt hat und von ihm nur noch ein
paar Knochen übrig sind.
In der
Tat gilt Ardi als
die wohl wichtigste wissenschaftliche Entdeckung des Jahres. Dieser kleine, aufrecht gehende Kerl, ist der früheste
bekannte Vorfahr von uns Menschen und anderen nun ausgestorbenen Hominiden und stellt scheinbar das lange gesuchte fehlende Glied dar, der
erste Nicht-Affe in unserer Ahnenlinie.
Nur
warum soll dieser Kerl an der Wirtschaftskrise schuld sein? Abgesehen davon, dass es
ohne ihn keine Menschen und ohne Menschen die Krise nicht gegeben
hätte? Die Erklärung findet sich in der Umwelt von Ardi und in seinen Lebensumständen. Denn dieser (und diese – es waren ja nicht nur Männchen) lebte
in einem üppigen Waldgebiet, ernährte sich von Nüssen, Früchten und kleinen Tieren und hatte ein Hirn so gross wie das eines Schimpansen.
Der Status von Ardipithecus in
seiner Umwelt war jener eines Beutetieres für die auch schon
damals lebenden Grosskatzen wie den Vorfahren der heutigen
Leoparden und Löwen. Gefahren waren unmittelbar und extrem bedrohlich. Angst
und Flucht waren die unmittelbare Reaktion auf ein Rascheln im
Gebüsch und die aus dem Augenwinkel wahrgenommene Bewegung im Blattwerk. Der
scharfe Geruch von Katzenurin, liess die Wachsamkeit empor schnellen, konnte doch Gefahr in der Nähe sein.
Als die Immobilienblase sich unaufhaltsam aufblähte, sagte einem die Logik zwar, dass
das nicht ewig so weiter gehen konnte,
aber für viele – auch Spezialisten
– schien dieser Tag noch in weiter Ferne zu liegen.
Die Gefahr baute sich langsam auf. Sie kündigte sich
durch kein Rascheln an, das uns zusammen zucken liess, kein Knacksen
eines Zweiges unter der Pfote
eines Löwen und die überhöhten Immobilienpreise verbreiteten auch keinen Geruch, der uns als
Warnung vor einer verborgenen Gefahr dienen konnte.
Wir haben für
diese Gefahren schlicht kein Sensorium,
welches tief in uns - auf einer emotionalen Ebene - das notwendige Unbehagen auslösen könnte, und uns davon abhalten
würde, die Spekulationen weiter zu schüren
und von der Gefahr Abstand zu nehmen,
bevor bei einem Kurssturz auf kritischer Höhe dann nackte Panik
zu einem Crash führt.
Absurderweise singen bereits
wieder viele Banker das Loblied der Gier,
obwohl die Krise noch lange
nicht überwunden ist und es wird
sprichwörtlich behauptet, dass Gier gut sei.
Es wird damit argumentiert, dass nur Top-Geld und die Chance auf grosse
Boni gute Leistungen möglich mache... aber sicher!
Das hatten wir ja gerade!
Doch Verhaltensforscher widersprechen: Extreme Löhne und Boni führen zu
einer Verengung des Fokus der Handelnden,
auf einen Verlust der Sicht auf das langfristige Eigeninteresse und
die eigenen moralische Werte. Dies nicht zuletzt, weil
sich die Leute in einer extremen Konkurrenzsituation mit Arbeitskollegen befinden: Wer weniger Bonus als der Andere
bekommt, sieht sich als Verlierer
und Versager. Um dies zu verhindern ist
jedes Mittel Recht und jede Vernunft ausgeblendet – mit verheerenden Konsequenzen.
Auch dieses Alles- oder Nichts-Denken
stammt aus unserem Primaten-Erbe, wo in einem ständigen
Leben des Mangels eine Gelegenheit für reiche Beute
unbedingt ausgenutzt werden musste. Ein zu viel
an Nahrung konnte es nicht geben
und es war dabei wiederum Ardi, der es mit
seinem aufrechten Gang und
den zum Tragen von Nahrung geeigneten Armen, die von ihrer Aufgabe des Gehens befreit waren, das Zusammenraffen von Nahrung (was damals Reichtum entsprach) vermutlich erfunden hat. Die Vermutung besteht nach den Funden (wobei natürlich
immer Vorsicht angebracht ist),
dass es die Männchen waren, welche die Nahrung sammelten und bei der Heimkehr mit
vollen Händen zum Weibchen diesem
und dem Nachwuchs das Überleben sicherte.
Wenn nun heute die – notabene vorwiegend männlichen – Trader ohne Rücksicht auf Verluste raffen, dann geschieht
dies nicht mehr aus überlebensnotwendigen Gründen, doch nach
den gleichen Verhaltensmustern
wie damals. Die Resultate sind
hinreichend bekannt.
Aber jetzt weiss
man wenigstens, wer Schuld an der ganzen
Schose ist: Nicht die Banker, die immer noch Handeln wie
die vor viereinhalb Millionen Jahren ausgestorbenen, 120 cm grossen Hominiden aus Äthiopien
mit einem Hirn, dass ein
Drittel des Volumens des unseren hat... Schuld ist nur Ardi, der mit
seinen beiden zum Tragen von Früchten und Nüssen geeigneten Armen das Prinzip des Zusammenraffens für unseren Zweig in der Evolutionsgeschichte erfunden hat!