Die Zukunft ist weit offen

von Patrik Etschmayer / Mittwoch, 5. November 2008

Der Sieg von Barack Obama ist historisch. Historisch, weil Obama ein eigentlich unmöglicher Kandidat war, der einen unmöglichen Wahlkampf führte und alle Erwartungen auf den Kopf stellte. Es hiess, dass die Endphase eines Wahlkampfes in etwa einem Messerkampf zweier Verbrecher in einer Telefonzelle entspreche. Doch nur John McCain fuchtelte mit einem Messer herum. Obama hatte sich nicht mal in die Telefonkabine begeben.

Schon das zeigte, dass hier jemand mit der jüngeren politischen Tradition der USA brechen wollte. Ein Bruch der dem neuen Zeitgeist entspricht. Nach 20 Jahren des Aufpeitschens und nach acht Jahren einer Regierung, die Wunschdenken zur Realität erklärte, krachte die Wirklichkeit auf einmal auf die USA – und auch den Rest der Welt – wie ein 16-Tonnengewicht aus einem Monty Python Cartoon nieder.

Wirtschaftlich, militärisch und selbst kulturell wurde die Idee, dass der Stärkste am stärksten allein sei, ad absurdum geführt. Kooperation statt Konfrontation, Gespräch statt Diktat sind die neuen, verblüffenden Grundideen, welche von Obama verkörpert werden.

Doch man soll sich keinen Illusionen hingeben. Die Herausforderungen sind gewaltig und der Status Quo sehr problematisch. Die Bush-Regierung hat eine global desolate Situation hinterlassen und nicht wenige Führer in dieser Welt halten Kompromissbereitschaft für Schwäche. Obama darf, wenn er Erfolg haben will, kein Präsident zum Kuscheln werden.

Die Neu-Regulierung der Finanzmärkte, die Förderung neuer Energiequellen, die Rettung der US-Industrie und das gleichzeitige Führen zweier Kriege, der Aufstieg neuer Mächte, während ein Ausgleich mit den Bündnispartnern gefunden werden muss, dürften ein Jonglier-Akt sein, der auch von einem Spitzen-Politiker alles und mehr abverlangt. Zu glauben, dass dabei kein Geschirr zerbricht und keine Irritationen entstehen, ist absurd.

Obama ist kein Zauberer – genau so wenig wie es McCain gewesen wäre – aber er hat einen Vorteil: Er kann, ohne einer starren Doktrin verpflichtet zu sein, ohne zu glauben, dass er auf einer göttlichen Mission (wie Bush) unterwegs sei, Weichen sehr pragmatisch stellen, sich an den Tatsachen orientieren und endlich wieder eine Regierung, die sich nach der Wirklichkeit, egal wie traurig diese auch aussehen mag, ausrichtet, installieren.

Sein Kabinett wird vermutlich nicht nur Demokraten und Unabhängige, sondern auch gemässigte Republikaner umfassen, wobei Colin Powell aber lediglich eine offensichtliche aber keineswegs zwingende Option darstellt. Wenn es Obama gelingt, die Mehrheit, die er bei der Wahl errang, in der politischen Landschaft noch auszuweiten und die Republikaner trotz demokratischer Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus nicht weg zu drücken, könnte er es tatsächlich schaffen, die USA aus der tiefen Zerrissenheit der Bush-Ära hinaus zu führen und zu einigen.

So gibt es momentan Grund für leisen Optimismus für die USA und die Zukunft dieser Weltmacht. Die Fähigkeit dieses Landes zu Wandel und Reform wurde durch diese (aus dem Standpunkt von vor einem Jahr aus gesehen) überraschende Wahl eindrücklich demonstriert. Natürlich, die Welt ändert sich nun nicht einfach. Aber der Ausblick verändert sich. Der enge, hässliche Pfad, den Bush beschritten hat, weicht nun – zumindest vorerst – dem Ausblick auf eine weit offene Ebene, die eine neue Zukunft, neue Möglichkeiten und Hoffnungen bietet. Es liegt nun an Obama, sein Land auf dieses Feld der Träume hinaus zu führen und Realitäten daraus erwachsen zu lassen.