Worte des Mutes
von Patrik Etschmayer / Dienstag,
25. März 2008
Es ist eine Rede, die Geschichte machen könnte, die bereits dabei ist. Eine
Rede die manchem Zuhörer Schauer den Rücken hinunter jagte und die millionenfach im Internet runter geladen wird.
Eine
Rede, die aus anderen Reden von Politikern um Kopf und Schultern herausragt. Nicht nur wegen ihres
Themas. Sondern auch wegen der
bemerkenswerten Ehrlichkeit,
mit der Barack Obama letzte Woche das
Rassenthema und den politischen
Zynismus in den USA angegangen
ist.
Der Anlass für
Obamas Rede war etwas, das eigentlich
der Sargnagel zu seiner Kampagne
hätte sein können – ja
sein müssen. Der Pastor seiner Kirchgemeinde in Chicago, der
Mann der Obamas Ehe geschlossen und seine Töchter getauft hatte, ein Mann, der Obama sehr nahe stand, hatte eine Predigt über
Krieg, Armut und Rassismus gehalten, die in dem leidenschaftlichen Ausruf «God damn America» gipfelte.
Obama distanzierte sich in der Folge von Pastor Wright und dessen Brandpredigt, aber er weigerte
sich, ihn zu verstossen, genauso wenig, wie er seine weisse
Grossmutter verstossen könne, die ihm gegenüber auch schon rassistische Stereotypen geäussert habe, welche ihn
erschaudern hatten lassen. Denn sein
Pastor sei ebenso wie seine Grossmutter ein Ausdruck der Widersprüchlichkeit
der USA, wo in vielen Schicksalen Schrecken und Triumph, Elend und dessen Überwindung untrennbar verquickt sind.
Das so anzusprechen war schon ausserordentlich mutig. Doch Obama ging weiter und er machte etwas,
das Politiker sonst nie machen:
Er nannte auch die weitergehenden Probleme beim Namen
– in diesem Fall den latenten Rassismus auf allen Seiten und die Stereotypen, die dabei so gerne verwendet werden. Er erinnerte
dabei an die gerne vergessenen Tatsache, dass noch vor fünfzig
Jahren Rassentrennung und -diskriminierung in den USA die Regel
waren und das Vermächtnis der Unterdrückung, die auf vielen
Afro-Amerikanern noch heute lastet. Er
redete davon, wie im Dialog zwischen
den Rassen diese Altlasten meist ignoriert werden und die Wut einfach weiter
kocht und nur dann herauskommt, wenn man unter sich ist.
Er sprach aber
auch über die Wut der weissen
Unter- und Mittelschicht, die
selbst nie ein Unrecht gegen
Schwarze begangen hatte und nun zusieht, wie Afro-Amerikaner bei Job- und Studiumsstellen bevorteilt werden, von Sozialhilfe leben und ihre Angst vor Kriminalität als Rassismus abgestempelt wird. Und er sprach darüber, wie Politiker diese
Wut und diese Vorurteile ausnützen und vertiefen, um Stimmen zu machen.
Die Frage
sei nun, ob man diese Differenzen bis zu den Wahlen breittreten
wolle, um nicht die wirklichen Probleme ansprechen zu müssen,
nur um dann beim nächsten Mal – in vier Jahren – über
eine andere Ablenkung zu reden.
Oder man könne sagen: «Nein, diesmal nicht», und die wirklichen Probleme wie Schuldbildung,
Gesundheitswesen, Arbeitslosigkeit
zu debattieren, um dabei nicht irgendwem
den schwarzen Peter zuzuschieben,
sondern den Ansatz einer nachhaltigen Lösung zu finden.
Das Verrückte an der Rede ist,
dass sich Obama dabei nicht als
der Heilsbringer darstellt, sondern lediglich als ein
Politiker, der nicht einfach einen
Sündenbock sucht, der nicht eine
weitere Teilung der Wählerschaft in einzelne Gruppen, die man gegeneinander ausspielt, betreiben will.
Auch wenn manche
Teile dieser Ansprache sehr speziell amerikanisch sind, ist
sie doch so ausserordentlich für einen Politiker irgendwo auf der Welt, dass nicht nur
die amerikanischen Wähler aufhorchen sollten. Denn er spricht
genau das an, was viele Leute auch
in Europa politikmüde, ja -angewidert
werden liess: Den Zynismus, das hämische,
dreckige und durch und durch unehrliche in der Politik. Auf der einen Seite
die fies grinsenden, auf der anderen Seite
die Betroffenheit heuchelnden
und ständig nur anklagenden – aber auf beiden Seiten Klientel-Politiker,
die nur scharf auf die knappe, gerade ausreichende Mehrheit sind und selbst
bei Koalitionsregierungen darauf achten, dass genügend Animositäten
bestehen bleiben. Politiker, die unbequeme Wahrheiten weg schieben und nur nach guten Sündenböcken
suchen.
Nun mag
man einwenden, dass dies nur Worte gewesen
seien. Aber was für Worte! Dem Autoren fällt zumindest
auf die Schnelle kein europäischer Politiker ein, der es
gewagt hätte, eine solche Rede
zu halten. Denn diese verlangte
eines: Mut. Und das ist eine Eigenschaft, die in der politischen Landschaft eine echte Rarität ist.