Stimmen aus der
Gruft
von Patrik Etschmayer / Donnerstag,
20. März 2008
Es ist der fünfte
Jahrestag des Startschusses
des zweiten Irak-Krieges
und pünktlich dazu haben sich zwei
Untote zu Wort gemeldet. Zum einen hielt
George W. Bush seine Jubiläumsrede über diesen Feldzug,
zum anderen meldete sich Osama Bin Laden wieder einmal zu
Wort.
Bush war allerdings
der Erste und er zeigte einmal
wieder eindrücklich, wie brillant er
es versteht, Realitäten zu ignorieren,
eigene Fehler zu verdrängen und die Wirklichkeit zu verdrehen.
Ein wunderbares Beispiel für diese
mentalen Saltos findet sich recht
früh in der Rede, als
Bush über die irakische Armee und Verwaltung folgendes sagt: «Als das irakische
Regime entfernt wurde, legte es nicht
einfach seine Waffen nieder und ergab sich. Stattdessen legten Elemente des früheren Regimes ihre Uniformen ab und tauchten unter, um die Bildung eines freien
Iraks zu bekämpfen.»
Was er
nicht sagte, war, dass sich Armee
und Sicherheitskräfte de facto ergeben
hatten und in einem ersten Schritt von den Amerikanern entlassen wurden – mit dem
Effekt, dass hunderttausende Soldaten und Polizisten ohne Arbeit, aber mit
Waffen dastanden, und sich in der Folge
gegen die Besatzer organisierten.
Dass die US-Armee es zudem versäumte,
grosse Waffenlager zu bewachen und diese von Aufständischen ausgeräumt wurden, weil durch
das planlose Vorgehen ein riesiges
Machtvakuum bestand... davon war kein Wort zu hören.
Ebenso wenig erwähnte
er den Fall der nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen (deren angebliche Existenz ja der Kriegsgrund
war), die Tatsache, dass El
Kaida erst nach der Invasion im Irak in Erscheinung
trat und dass die US-Regierung 4 Jahre lang alle Stimmen,
die die Art des Vorgehens im Irak kritisierten,
ignorierte oder gar – im Fall von Generälen, die solche Kritik äusserten
– zum Schweigen brachte.
Die womöglich
viel zu späte
Kehrtwende im Irak, welche in letzter Zeit zumindest
eine gewisse Entspannung brachte, kommentierte er so: «Wir überprüften die Strategie – und änderten den Kurs im Irak».
Vier mit Pfusch und Unfähigkeit verlorene Jahre in einem Satz zusammengefasst,
der auch noch so tönt, als ob hier eine besondere Leistung vollbracht worden wäre.
Diese Rede der
absoluten Realitätsverweigerung
und Selbsttäuschung stand allerdings
nicht lange
allein im Raum und wurde ergänzt durch Bushs
alter Ego auf der «dunklen Seite»: Osama Bin Laden meldete sich auch wieder
zu Wort. Doch statt sich
seines Erzfeindes Bush besonders
zu besinnen (er erwähnt ihn
nur kurz), drohte Bin Laden offen der EU dafür, dass
sie es zuliess,
dass die Mohammed-Karikaturen
nach einem islamistischen Mordkomplott in Dänemark wieder veröffentlicht wurden.
Ist die Bin Laden-Botschaft authentisch, trägt sie mehr
als nur eine
Warnung an Europa in sich. Sie zeigt
auch, dass sogar für Bin Laden Bush nur noch ein
Mann ist, dessen Zeit bald abgelaufen sein wird. Bin Laden selbst
scheint momentan auch nur noch
ein Symbol zu sein, aber immerhin
ein Symbol, dessen Worte mit einer
gewissen Furcht von seinen Gegnern und mit Begeisterung von seinen Anhängern gehört werden.
Bush hingegen
– ist vorbei.
Seine Entkopplung von der Realität, die Tatsache, dass seine Regierung in fast allen Belangen versagt hat, wird sein Vermächtnis sein, ebenso wie
das Ignorieren von Geheimdienstberichten, die Manipulation von Informationen, der Ausbau von Regierungsvollmachten
und die Unfähigkeit, die Kreditmärkte
zu kontrollieren. Bush meint in der Rede,
die Invasion im Irak würde von Historikern noch lange
studiert werden... doch seine Administration hat viel
interessantere Dinge hinterlassen als einen militärisch geglückten aber politisch desaströsen Feldzug.
Nicht zuletzt Osama Bin Laden, der immer noch
nicht gefangen ist, der
immer noch Reden hält und immer noch Schlagzeilen
macht. Beider Stimmen sind
Stimmen aus der Gruft – doch
sieht es fast so aus, als würde
jene von Bin Laden noch länger zu hören
sein.