Der
11. September: 'Ende der Unschuld'
Kreis Recklinghausen
11. September 2001: Genau 13 Jahre ist es her, dass die Terroranschläge in New York die Welt erschütterten. Soziologen der Uni Duisburg-Essen gehen davon aus, dass die damals zwischen 20 und 30 Jahre alten Menschen besonders durch die Anschläge geprägt wurden. Diese „Generation 9/11“ berichtet sowohl von großen Ängsten und Verunsicherung als auch vom plötzlichen Gefühl eigener Verwundbarkeit und konkreten Folgen für ihr Leben.
„Die heute gut 30- bis gut 40-Jährigen haben damals im Vergleich zu den Älteren erstmalig eine kollektive Gewalterfahrung gemacht und sie waren im Gegensatz zu den Jüngeren bereits erwachsen, hatten ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein“, erläutert Dr. Daniela Schiek, warum diese Altersgruppe besonders betroffen war und ist.
Gemeinsamkeiten zwischen USA und Deutschland
Soziologin Schiek machte Befragungen und Auswertungen in Deutschland und den USA – und stellte bei den 30- bis 40-Jährigen beider Länder große Gemeinsamkeiten bei den Folgen des 11. Septembers fest:
Die Altersgruppe kann weltpolitisch nicht mehr unbeteiligt sein. „Der 11. September bewirkte eine Art politisches Erwachen, Weltpolitik hatte nun einen Bezug zum persönlichen Leben. In Interviews bezeichneten Befragte das als ,Ende des Urlaubs von der Geschichte‘ oder auch als ,Ende der Unschuld‘“, berichtet Schiek.
Auch die Unverwundbarkeit des amerikanischen Lebensstils wurde durch die Terroranschläge in Frage gestellt und erschüttert.
Durch den 11. September hat sich der Blick auf Migration verändert. „Das bedeutet nicht automatisch eine Ablehnung des Islam, aber wir sehen, dass hier einiges durcheinander geraten ist. In Deutschland ist die ,Generation 9/11‘ zusammen mit Gastarbeiter-Kindern in der Schule groß geworden, sie hat mit Lichterketten gegen brennende Asylbewerberheime demonstriert – hier besteht nun eine andere Perspektive, das ist unklarer geworden. Vorher waren die Übergriffe das Problem, weniger die Einwanderer. Es gibt nun – fremde – Statistiken, die hier eine Umkehrung sehen“, sagt die Wissenschaftlerin.
Stärkeres politisches Bewusstsein und eine etwas diffuse Haltung zum Thema Migration: „Das sind Veränderungen in der ,Generation 9/11‘ – aber wir können noch nicht sagen, wie sich diese Veränderungen gesellschaftlich auswirken, die Richtung ist noch unklar“, betont Schiek und verweist auf den nächsten Projekt-Schritt: „Wir wollen die Altersgruppen vergleichen – zum Beispiel die 9/11er mit den 68ern. Und wir wollen vergleichen, was die Meinungsführer der verschiedenen Altersgruppen machen.“
Eines ist für die Soziologin allerdings eindeutig: „Die ,Generation 9/11‘, die heute von Anfang 30 bis Anfang 40 reicht, ist von persönlichen Ängsten geprägt. Es besteht eine massive Unsicherheit durch die kollektive Gewalterfahrung des 11. September.“
Wie erleben das Betroffene aus dem Kreis Recklinghausen? Menschen aus unserer Region, die zum Alter der „Generation 9/11“ gehören, berichten, ob und wie ihr Leben durch den 11. September beeinflusst worden ist:
Sicherheit erschüttert
„Durch den 11. September wurde bei mir das Gefühl von Sicherheit im Leben erschüttert. Ich merkte, dass die Welt aus den Fugen gerät – und dass diese Ereignisse auch bedrohliche Auswirkungen für mich haben können“, erinnert sich Nicola Martens.
„Ich glaube, in gewisser Weise wurde ich damals aus dem Schlaf gerissen – vorher hatte ich die großen Krisen, vielleicht mit Ausnahme von Tschernobyl, noch nicht so auf dem Schirm“, sagt die heute 43-Jährige. Insofern hatte der 11. September auch eine Politisierung zur Folge: „Ich denke seitdem globaler – aber auch mit möglichen Auswirkungen auf uns in Recklinghausen.“ Direkte Gefahren hält Nicola Martens beim Thema Terror allerdings für gering: „Das ist eine Form der Gewalt, die ich mir hier nicht vorstellen kann. Insofern habe ich persönlich im Alltag auch keine Angst.“