US-Wirtschaft bleibt auf Drogen
19.09.2013
Finanz-Anabolika statt Entzug: Die US-Notenbank hält an ihren Anleihekäufen fest. Das ist überraschend, meint Ulrich Kater. Doch für den Deka-Chefvolkswirt
ist das noch lange kein Beinbruch.
von
Ulrich Kater
Alles dreht sich bei Notenbanken
um Kommunikation. Da bemühen sich die Zentralbanken, Märkte und Wirtschaft an die Hand zu nehmen und ihnen über den Kurs der
Geldpolitik eine langfristige Orientierung zu geben. Und dann
das: Die schon sicher geglaubte Reduzierung der Anleihekäufe findet erst einmal
nicht statt, auch nennt die US-Notenbank kein Datum für einen solchen
Schritt. Der Markt ist, gelinde
gesagt, überrascht. Renditen von Staatsanleihen stürzen ab, an
den Devisenmärkten verliert
der US-Dollar mehr als einen Cent gegenüber dem Euro.
Hieraus lässt sich erst einmal
ableiten, dass auch Notenbanken auf Sicht fahren müssen.
Wer meint, die Notenbanken verfügen über bessere Daten,
bessere Modelle oder besseres Erfahrungswissen
als die anderen Teilnehmer der Finanzmärkte, findet wieder einmal einen
Beleg dafür, dass dem nicht
so ist. Die jüngsten US-Wirtschaftsdaten waren nicht mehr überzeugend
genug, um mit der Reduzierung des geldpolitischen Stimulus beginnen
zu müssen. Hier hatten sich
die bisherigen Kommentare aus dem US-Zentralbankrat,
nicht zuletzt auch von Präsident Bernanke, zu weit vorgewagt.
Insbesondere am US-Häusermarkt
gab es zuletzt Zeichen von einer Verlangsamung der Erholung. Dies hatte die Fed in ihrem Statement aufgenommen, indem sie andeutete,
dass erst die Wirkung der gestiegenen
Marktzinsen auf die Wirtschaft
abgewartet werden solle, bevor man mit dem Vorhaben
der geldpolitischen Straffung fortfahre.
Wie geht es nun weiter? Der eine oder
andere mag sich bei dieser
Episode ein wenig an die Europäische Zentralbank erinnert gefühlt haben. Die hatte noch unter ihrem
damaligen Präsidenten Trichet im Spätsommer
2011 den Ausstieg aus der ultra-expansiven Geldpolitik gesucht und auch bereits zwei
Zinserhöhungen vorgenommen,
bevor sich die Wirtschaftsdaten rapide verschlechterten. Trichets Nachfolger Draghi schlug denn auch
ganz schnell die Gegenrichtung ein.
Sind
das alles Anzeichen dafür, dass diese
extreme Geldpolitik überhaupt
nicht mehr aufgegeben werden kann, wie es
einige Beobachter befürchten? Ich glaube das nicht. Es gibt eine Reihe
von wirtschaftlichen Entwicklungen,
die – zumindest in den Vereinigten
Staaten – darauf hindeuten, dass die wirtschaftliche Erholung von der Finanzkrise weitergeht. Möglicherweise aber eben nicht
so schnell wie die Marktteilnehmer jetzt gedacht hatten.
Immer noch erscheint es, als
habe zumindest die US-Wirtschaft den gefährlichsten Selbstversuch der Wirtschaftsgeschichte überlebt. Denn nichts anderes
waren die vergangenen Jahrzehnte: ein Selbstversuch mit Finanz-Anabolika. Nachdem in den
1970er Jahren das Wachstum
in den Industriestaaten gesunken
und die Arbeitslosigkeit angestiegen
war, versuchte man durch
die Entfesselung des Finanzsektors
Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Dazu deregulierten die Regierungen die
Märkte und stellten ihnen gleichzeitig billiges Geld zur Verfügung. Die geplatzte Kreditblase hat ausgewachsene Industriestaaten fast erstickt, bevor sie nun langsam
wieder zu sich kommen.
Im Vergleich zu den europäischen Ländern sind die Amerikaner weiter vorangeschritten in der Erholung von der Finanzkrise: Dort wurden die großen Banken zwangsrekapitalisiert,
kleine Institute sind – in einem regulären Prozess, in dem nach Schonung der
versicherten Einlagen im Extremfall auch
unversicherte Einlagen herangezogen wurden – in etwa 500 Fällen abgewickelt worden. Außerdem sind glaubwürdige
Stresstests durchgeführt worden.
Ein riesiges Neu-Regulierungspaket hat die Parlamente
passiert, von dem noch die Hälfte seiner Umsetzung harrt. Der Sektor der
privaten Haushalte ist dabei, sich
von historisch hohen Verschuldungsquoten wegzubewegen,
der Häusermarkt ist entrümpelt worden. Insgesamt haben die US-Amerikaner ihre Probleme energischer
angepackt als die Europäer, einer Zombifizierung des Bankensektors wurde vorgebeugt. Es scheint, als wüssten
die Amerikaner, wie man eine Finanzkrise anrührt, aber auch,
wie man sie wieder auslöffelt.
Die
Aufgabe der Fed lautete nun: Schluss machen mit dem
Paradigma von der unbegrenzten Stützung der Finanzmärkte, das sich in den Köpfen der meisten Marktteilnehmer
in den letzten Jahren festgesetzt hat. Den ersten Teil der Übung
hatte die US-Notenbank eigentlich ganz gut gemeistert. Sie hat ihre Absichten klar verkündet, und obwohl es kurzzeitig
zu Turbulenzen kam, haben die Märkte die neuen Perspektiven geschluckt.
Die
Zinsen bei Treasuries waren etwas höher
als zuvor, aber nicht außer
Kontrolle. Die Kollateralschäden,
etwa in Emerging Markets-Anlagen, waren
verkraftbar. Dabei muss man
sich immer vor Augen führen,
dass die Notenbanken keinen Druck zur
geldpolitischen Straffung haben, weil keine
Inflation in Sicht ist. Nach den historischen Erfahrungen mit dem Exit aus derart
extremen geldpolitischen Phasen tut man gut daran, die Wirkungen solcher Ankündigungen abzuwarten.
Es
kann sein, dass allein die Perspektive des Zinsanstiegs die wirtschaftlichen Erwartungen wieder verdüstert. Dies wartet die Fed nun ab. Der wahrscheinlichste Ausgang ist, dass sich
die Erholung fortsetzt und mit der Reduzierung
der Anleihekäufe doch in den kommenden Monaten, spätestens in der ersten Jahreshälfte
2014 begonnen wird. Wie Fed-Präsident Bernanke gesagt hat, hängt das von der wirtschaftlichen Entwicklung ab, die auch er nicht
genau kennt. Hier müssen auch
Notenbanken auf Sicht fahren.
Ulrich
Kater ist Chefvolkswirt der Deka-Bank.