Charmante Luftschlösser
19.06.2013,
17:14 Uhr
Historischer Ort, hohe
Erwartungen: Das verleitet
Obama dazu, in Berlin Luftschlösser
zu bauen: Er startet eine
Abrüstungsinitiative, beschwört
Berlins Freiheitsgeist und erklärt
sein Ausspähprogramm. Ein Kommentar.
von
Markus Ziener
BerlinEin Abrüstungsvorschlag
ist eine gute Sache in einer
Welt, die noch immer nur so von Atomwaffen strotzt. Die Initiative des US-Präsidenten
Barack Obama, die dieser in seiner Rede vor dem
Brandenburger Tor erläutert
hat, ist daher nur richtig. Ein
Drittel weniger Atomwaffen – wer wollte das nicht. Nur: Schon einmal
hat Barack Obama mit dem Vorstoß zu „global zero“, der Abschaffung sämtlicher Atomwaffen, eine große Vision entwickelt – die dann aber kläglich scheiterte.
Am
Ende konnte der Präsident froh
sein, dass er den amerikanisch-russischen Abrüstungsvertrag Start vom Kongress ratifiziert bekam – obgleich auch das nur, indem
er den Senatoren einen Kuhhandel anbot. Damals, Ende des Jahres 2010, bekam Obama die Stimmen erst, als er
einer Verlängerung von Steuererleichterungen zustimmte,
die noch von seinem Vorgänger George W. Bush beschlossen
worden waren. Dabei ging es
bei Start vor allem um eine Begrenzung
der Zahl der Trägerraketen, nicht aber um die bereits existierenden tausende von Sprengköpfen. Deutlicher konnte nicht werden, dass
Abrüstung keine Herzensangelegenheiten der amerikanischen Politik mehr ist.
Daran hat sich bis heute nichts
geändert. Die Stimmenverhältnisse
im Kongress – mit einer knappen
demokratischen Mehrheit im Senat und einer
Mehrheit für die Republikaner im Repräsentantenhaus – sind so, dass Obama alleine nichts gelingen kann. Er braucht
die Zustimmung der Konservativen und damit einer Partei, die noch immer eher
auf Blockade als auf Kooperation
setzt, wenn es um Gesetzesinitiativen des Präsidenten geht. Woher also Obama seinen Optimismus für einen neuerlichen Abrüstungsvorschlag nimmt ist deshalb unklar.
Zu hoffen ist daher, dass
es sich nicht
nur um ein rhetorisches Leuchtfeuer vor grandioser Kulisse handelt, das der 44. US-Präsident in Berlin entzündete.
Der historische
Ort, die noch höheren Erwartungen: Das könnte Obama dazu verleitet haben, mit großer
Geste Luftschlösser zu bauen. Es gilt deshalb genau hinzuschauen,
was aus dem Abrüstungsvorstoß noch wird. Auch das eine Meßlatte, um Obamas Wirken am Ende seiner Amtszeit einzuordnen.
Immerhin: Als der Präsident mit
der Bundeskanzlerin vor die Presse trat muss er verstanden
haben, dass die Abhöraffäre sowie der Einsatz von Drohnen zumindest für das deutsche Publikum keine Petitessen sind.
Zu cool, zu unnahbar
Ausführlich hat Obama erklärt,
warum er das Programm für notwendig
hält. Allerdings: Dass durch das massenhafte Absaugen des
Internets mindestens 50 Anschläge
vereitelt worden sein sollen, ist
zunächst nicht mehr als eine
Behauptung. Die kann man glauben – oder auch nicht.
Tatsächlich aber spiegelt der Stil
der Einlassungen Obamas zu diesem
Thema die Debatte in den
USA wider. Denn dort sorgt man sich nicht wirklich um die Rechtmäßigkeit des heimlichen Mitlesens von Emails – so lange es der Sicherheit
dient.
Einen ziemlich tiefen transatlantischen Graben gibt es
an diesem Punkt, den auch Obama nicht zuschütten konnte und wollte. Dass der
darüber aber wenigsten nicht mit leichter Hand hinweggegangen ist, spricht für das Verständnis des Präsidenten.
Wird sich indes etwas an der Praxis ändern? Wohl kaum. Da
sind den USA die eigenen Interessen noch stets näher als die Befürchtungen
der Partner.
Sind
wir nun klüger bei der Beantwortung
der Frage, ob Barack Obama ein Freund Deutschlands ist? Nein. Dazu ist der zwar
charmante Obama zu cool, zu unnahbar und emotional zu sehr berechenbar.
Sind
ihm die Deutschen nur deshalb wichtig,
weil sie eine nicht ganz
unbedeutende Rolle bei der Bekämpfung
der Finanzkrise spielen? Vielleicht. Obama denkt stets strategisch, ob in der amerikanischen Innen- oder der
Außenpolitik.
Sollten wir aber deshalb weniger
glücklich sein mit diesem Präsidenten?
Kaum. Denn es ist noch
immer besser, wenn ein Präsident
vielleicht illusionäre Abrüstungsziele hat, als wenn er leichtfertig
Kriege führt. Diese – in Irak und Afghanistan –
wickelt Obama schrittweise
ab. Und das ist schon eine ganze Menge.