"Weltwirtschaft anfällig für geopolitische Schocks“
14.09.2012
exklusiv Iran-Krise, Syrien-Krise und jetzt Unruhen in der arabischen Welt infolge eines Schmäh-Film aus den USA: Ökonomen blicken mit großer Sorge auf den Nahen Osten. Eskaliert die Lage, droht die Weltwirtschaft abzuschmieren.
von Dietmar Neuerer
BerlinJoschka Fischer ist kein Ökonom. Der ehemalige deutsche Außenminister lag aber mit seiner jüngsten Einschätzung über den Nahen Osten nicht ganz falsch – auch wenn just zu der Zeit, als seine Überlegungen im Handelsblatt veröffentlicht wurden, noch nicht absehbar war, dass ein islamfeindlicher US-Film zu einer regelrechten Gewaltwelle in der arabischen Welt führen würde. „Die kommenden Monate drohen gefährlich zu werden. Mehrere schwere regionale wirtschaftliche und politische Krisen könnten sich zu einer Megakrise verbinden, die dann zu sehr heftigen globalen Erschütterungen führen wird“, schrieb Fischer. „Die Trommeln des Krieges im Nahen Osten wurden und werden immer lauter geschlagen.“
Fischer bezog sich auf die Syrien- und in die Iran-Krise und darauf, dass alle Welt mittlerweile von einer „militärischen Option“ rede. Sollten solche Prophezeihungen eintreffen, werde es keine begrenzbare „chirurgische Operation“ geben, „sondern den Beginn zweier Kriege: einen von den USA und Israel geführten Luftkriegs und einen von Iran und seinen Verbündeten geführten asymmetrischen Krieges. Da bliebe nicht allzu viel begrenzt“, warnte Fischer. Ein solcher Krieg am Persischen Golf, der „Tankstelle der Weltwirtschaft“ – träfe den Ölexport, und der Ölpreis ginge durch die Decke.
Eine Chronik islamistischer Anschläge auf US-Einrichtungen im Ausland
7. August 1998: Bei zeitgleichen Anschlägen auf die Botschaften in Nairobi (Kenia) und Daressalam (Tansania) sterben 230 Menschen, Tausende werden verletzt. Drahtzieher ist Osama bin Laden.
12. Oktober 2000: Bei einem Anschlag auf den US-Zerstörer „USS Cole“ sterben im Hafen von Aden (Jemen) 17 Soldaten und zwei Täter, 39 Menschen werden verletzt. Hinter dem Anschlag steht eine mit Osama bin Laden verbündete Terrorgruppe.
14. Juni 2002: Vor dem US-Konsulat im pakistanischen Karachi explodiert ein Auto. Zwölf Pakistaner sterben. Im Februar hatte ein Attentäter vor dem Konsulat drei pakistanische Polizisten erschossen.
15. Oktober 2003: Bei einem Sprengstoffanschlag auf US-Bürger in den palästinensischen Autonomiegebieten sterben am Grenzübergang Eres drei Sicherheitsbeamte der US-Botschaft in Israel.
26. Mai 2004: Bei einer Explosion zweier Autobomben vor dem Pakistanisch-Amerikanischen Kulturzentrum im pakistanischen Karachi wird ein Polizist getötet.
6. Dezember 2004: Bei einem Angriff auf das US-Konsulat im saudi-arabischen Dschidda werden fünf Konsulatsmitarbeiter und vier Attentäter getötet. Al-Kaida bekennt sich zur Tat.
18. März 2008: Bei einem Attentat auf die US-Botschaft in Sanaa stirbt ein jemenitischer Wachmann. Daraufhin werden große Teile des Personals abgezogen.
9. Juli 2008: Bei einem Feuergefecht vor dem US-Konsulat in Istanbul sterben drei türkische Polizisten und drei der vier Angreifer. Die Männer werden Al-Kaida zugerechnet.
4. März 2011: Ein Kosovo-Albaner beschießt auf dem Flughafen Frankfurt/Main einen Bus mit US-Soldaten. Zwei Amerikaner werden getötet, zwei weitere schwer verletzt. Er gilt als extremistischer Einzeltäter. Als Motiv nennt er Rache für US-Angriffe auf Muslime.
12. und 13. September 2012: Als Reaktion auf ein Schmäh-Video über den Propheten Mohammed stürmen Muslime US-Botschaften in mehreren Ländern. Beim Angriff auf das Konsulat im libyschen Bengasi werden vier Amerikaner getötet, darunter der Botschafter. Ägyptische Demonstranten greifen die Botschaft in Kairo an. Im Jemen stürmen am folgenden Tag mehrere hundert Demonstranten die US-Vertretung in Sanaa. Drei Angreifer sterben.
Fischers ökonomische Sorge wird jetzt auch von führenden deutschen Volkswirten geteilt. Denn die Lage hat sich inzwischen gefährlich zugespitzt. Nach den Freitagsgebeten gab es heute in mehreren islamischen Ländern Proteste gegen die USA und Israel. Aufgebrachte Demonstranten in der sudanesischen Hauptstadt Khartum griffen die deutsche und die britische Botschaft an.
Nahe der US-Botschaft in der ägyptischen Hauptstadt Kairo ging die Polizei mit Tränengas gegen Steine werfende Demonstranten vor. Im Jemen feuerten die Sicherheitskräfte Warnschüsse ab und setzten Wasserwerfer ein, um die Menge von der US-Vertretung fern zu halten. Auch im Iran, in Bangladesch und in Indonesien gingen zahlreiche Menschen auf die Straße. Anlass ist der in den USA produzierte Film über den Propheten Mohammed.
Die meisten Ökonomen äußerten die Einschätzung, dass eine weitere Eskalation die Weltwirtschaft empfindlich treffen könnte. „Die Weltwirtschaft ist anfällig für geopolitische Schocks“, sagte der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater, Handelsblatt Online. „Viele Volkswirtschaften versuchen, ihre heimischen Schuldenprobleme niederzuringen, das wirtschaftliche Zukunftsvertrauen ist immer noch gering.“
Besonders nach großen Finanzschocks bleibe die Wirtschaft lange anfällig. „Negative Einflüsse können größere Schäden anrichten als in robusteren Zeiten“, erläuterte Kater. So könne ein „sprunghaftes Ansteigen“ des Ölpreises die ohnehin schwächelnde Konjunktur in vielen Industrieländern „empfindlich“ treffen.
Zusätzliche Unsicherheiten durch Euro-Schuldenkrise
Der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, zeigte sich besorgt wegen eines möglichen militärischen Konflikts zwischen Israel und Iran. „Ein Krieg wäre jenseits der menschlichen Opfer eine große Belastung für die Weltwirtschaft“, sagte Krämer Handelsblatt Online. Krämer sagte aber auch, dass es nicht das Nahost-Risiko sei, unter dem die Weltwirtschaft seit einiger Zeit leide. „Wichtiger ist die Unsicherheit, die von der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum ausging“, gab er zu bedenken. Die sich abzeichnenden massiven Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) seien zwar dazu gedacht, das Risiko eines Auseinanderfallens der Währungsunion zu bannen und die Weltwirtschaft nach und nach zu stabilisieren. „Aber der Preis wird insofern hoch sein, als der Euroraum zu einer italienischen Währungsunion mutiert.“
Nach Einschätzung des Frankfurter Wirtschaftsforschers Thorsten Polleit bergen hingegen die politische Spannungen im Nahen Osten „in der Tat Gefahren für die ohnehin angeschlagene internationale Konjunkturlage“. Vor allem ein weiter steigender Ölpreis, der sich durch die inflationären Geldpolitiken ohnehin bereits erheblich verteuert habe, könne zu „weiteren Kostenbelastungen für Konsumenten und Unternehmen führen, die die Nachfrage dämpfen“, sagte Polleit Handelsblatt Online.
Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, Gustav Horn, schließt nicht aus, dass sich durch die Unruhen ein weltwirtschaftliches Risiko entwickeln könne. „Um eine konjunkturelle Dämpfung zu erzeugen, müssten die Unruhen die globale Ölförderung nachhaltig vermindern“, sagte Horn Handelsblatt Online. Das sei derzeit nicht erkennbar. „Wahrscheinlich ist aber, dass die Spekulation an den Rohstoffmärkten in diese Richtung gehen dürfte“, schätzt der IMK-Chef. Das wiederum habe in der Regel steigende Benzinpreise bei uns zur Folge.