Arrogantes China
Die Regierung
in Peking fällt auf internationaler
Bühne durch ihre Ruppigkeit auf. Sie demonstriert Härte. Damit erreicht sie das Gegenteil von dem, was sie will: Anerkennung.
Chinesen, so heißt es, dürfe man niemals ihr Gesicht verlieren
lassen. Aber wie halten sie
es eigentlich mit dem Gesicht
von anderen? Auf der
politischen Bühne gewinnt man derzeit den Eindruck, Chinas Regierung agiere ausgesprochen unchinesisch. Immer häufiger fallen Pekings Diplomaten durch unnötige Ruppigkeit auf: zuletzt gegen Japan, davor gegen die Mit-Anrainer im Südchinesischen Meer, und seit Jahren im Währungskonflikt
gegen die ganze Welt. Ist dies das Gesicht
der neuen Großmacht?
China will
für andere Länder keine Bedrohung
sein, wiederholen Pekings Politiker bei jeder Gelegenheit.
Man verfolge eine Politik der „friedlichen
Entwicklung“ und verweist darauf, dass vom Boom der
Volksrepublik die ganze Weltwirtschaft und Tausende ausländischer Unternehmen profitieren.
Stimmt! Aber wie
sollen die Nachbarn es nicht mit
der Angst zu tun bekommen, wenn
Peking im Streit mit Japan aus einer
politischen Petitesse −
der Festnahme eines Kapitäns, dessen Fischkutter in umstrittenem Gewässer zwei japanische Küstenwacheschiffe gerammt hat
− eine Staatsaffäre macht, in der alle
hochrangigen politischen Kontakte abgesagt, antijapanische Gefühle mobilisiert und wichtige Rohstoffe blockiert werden?
Wie können Chinas südostasiatische Nachbarn
Vietnam, Malaysia, Brunei und die Philippinen sich keine Sorgen
machen, wenn die Volksrepublik ihre Marine für Operationen in offener See aufrüstet und Flaggen in den Boden des Südchinesischen Meers pflanzt, um Ansprüche auf Gebiete anzumelden, die nach dem geltenden
Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen ihnen gehören? (Übrigens verhaftet China in den strittigen Seegebieten jährlich Dutzende vietnamesische Fischer und lässt sie oft erst nach
Monaten gegen Lösegeld wieder frei.) Und wie könnten den anderen Staaten der Welt keine Bedenken kommen, wenn China seit Jahren durch
eine künstlich billige Währung den globalen Wettbewerb verzerrt – eine Politik, unter der vor allem
andere Entwicklungs- und Schwellenländer leiden, deren Konkurrenzfähigkeit die Volksrepublik untergräbt?
Die Frage
ist nicht,
ob die Chinesen das Recht haben, auf dem internationalen Parkett für ihre eigenen
Interessen zu kämpfen – selbstverständlich dürfen sie das, und sie brauchen dabei
auch nicht weichere Bandagen anzulegen als andere
Nationen. Die Frage ist jedoch,
ob die derzeitige chinesische
Strategie das Land dorthin führt, wo es
hin will: zu mehr Wohlstand, stärkerem Einfluss und größerer internationaler Akzeptanz.
Warum kann China gegenüber Japan nicht leisere Töne anschlagen,
mit den anderen Anrainern des Südchinesischen Meeres in Ruhe nach Kompromissen suchen und der Welt im Währungsstreit entgegenkommen? In Peking glaubt
man, konsequent Härte demonstrieren zu müssen, weil
China sonst vom Ausland nicht ernst
genommen werde. Gleichzeitig ist
es für die Chinesen zunehmend eine Form des Nationalstolzes, dem Rest der Welt Paroli zu bieten.
Die Arroganz
des Westens, insbesondere der USA, will sich China nicht länger gefallen
lassen – und merkt dabei nicht, dass
sie sie längst
kopiert hat. Damit verliert die Volksrepublik nicht nur ihren
Anspruch aus den Augen, einmal eine
bessere Weltmacht zu werden – eine
glaubwürdige Leitnation der armen Menschheitsmehrheit.
China könnte auch eine gefährliche selbsterfüllende Prophezeiung heraufbeschwören: Je nachdrücklicher
Peking den anderen Ländern vorwirft, China eindämmen zu wollen, umso
eher fühlen diese sich tatsächlich
dazu genötigt.
In Tokio,
wo man vor
kurzem noch mehr Selbstständigkeit vom großen Bruder
Washington anstrebte, sucht
man plötzlich wieder dessen Nähe. In
Vietnam sieht man sich inzwischen ebenfalls zu einer militärischen
Allianz mit dem ehemaligen Kriegsgegner gezwungen. Und obwohl Amerikas globaler Führungsanspruch in immer mehr Ländern auf Widerstand stößt, so verfolgt die Welt doch mit gespannter Bewunderung, ob die Regierung in
Washington in der Yuan-Frage
tatsächlich den Showdown wagt,
den der Kongress mit seinem jüngsten
Strafzoll-Beschluss einzuläuten
versucht und zu dem kein anderer
Staat bereit wäre.
Niemand kann mehr
bezweifeln, dass China eine starke Weltmacht
ist. Aber
Stärke besteht nicht nur darin,
dass man seine Härte unter Beweis stellt.
China täte gut daran, anderen Ländern zu geben, was es
selbst von ihnen einfordert: Gesicht.