Marshallplan für Pakistan

 

Einen "Marshallplan" brauche sein Land, sagt Pakistans Botschafter in London. Recht hat er, vielleicht sogar mehr, als er denkt. Die Flut muss zum Startsignal werden für eine Politik, die den "Krieg gegen den Terror" ersetzt.

 

Die Weltgemeinschaft hat angesichts der Katastrophe zwei Möglichkeiten: eine moralisch gute und eine moralisch und politisch bessere. Die moralisch gute, aber politisch kurzsichtige hat der Bundespräsident jetzt formuliert: Das klägliche Agieren der pakistanischen Regierung, so seine Botschaft, darf uns nicht hindern zu helfen, wo Not herrscht. Nicht einmal die vielbeschworene Gefahr, es könnte Geld in die Händer der Taliban geraten, kann als Argument gegen großzügige Gaben gelten. Die seriösen Hilfsorganisationen sind nämlich im Empfängerland gut genug verankert, um gemeinsam mit ihren lokalen Partnern die Hilfsgüter in die richtigen Hände zu bringen. Also: Spenden Sie ruhig, lautet die zunächst einmal richtige Botschaft von Christian Wulff.

 

Allerdings sollte hinter dem absolut berechtigten humanitären Gestus des Augenblicks die Zukunft nicht ganz verschwinden. Die Binsenweisheit, dass in jeder Katastrophe auch eine Chance steckt, stimmt auch hier. Und so schwer es fällt, angesichts millionenfachen Leidens ins Politische zu verfallengenau das muss sein, auch und zuerst dieser Menschen wegen. Sie sind es, die eine Zukunft brauchen. Und ganz bestimmt keine, die aussieht wie die Vergangenheit. Denn die bestand in weiten Teilen des Landes aus meist schuldloser Verstrickung in die Spiralen des Terrors und des Krieges gegen den Terror, die für die Mehrheit immer nur eins bedeeuteten: Unfreiheit und Gewalt.

 

Einen Marshallplan, hat der Botschafter gesagt. Und ob er es meinte oder nicht: Darin liegt ein guter Hinweis auf das, was Pakistan jetzt bräuchte. Der Marshallplan der Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg – das war eine absolut erfolgreiche Mischung aus Zuckerbrot und, nein, nicht Peitsche, sondern eher Zeigefinger. Ihr Deutschen obwohl gerade noch Hitlers Untertanen und von uns besiegt, seid uns einiges wert. Wir lassen euch nicht hungern. Wir helfen beim Ausbau. Aber wir erwarten dafür von euch ein politisches System, das nicht wieder in eine Bedrohung ausartet. Und die Deutschen entwickeltenvielleicht zunächst weniger aus Überzeugung als aus Dankbarkeit für die Hilfe - tatsächlich einige Widerstandskraft gegen antidemokratische, gar terroristische Umtriebe.

 

Ständige Bedrohung vom Himmel

 

Was das mit Pakistan zu tun hat? Dieses Land, die ganze Region ist ausgezehrt von den kleineren und größeren, den offenen und verdeckten, den militärischen und propagandistischen Kriegen zwischen den Großmächten und deren wechselnden Feinden. Besonders der Westen, vorneweg die USA, machte dort alles Mögliche, nur glaubwürdig machte er sich nicht. Die Taliban, von Pakistan aus gepäppelt gegen den Großfeind und Afghanistan-Besatzer Sowjetunion, sind nun pauschales Synonym für Terror und Attentat und eigentlich alles denkbare Böse und werden entsprechend bekämpft. In manchem Teil Pakistans, wo heute die Fluten wüten, tobte noch vor Monaten der angebliche Kampf gegen den Terror – für die Bewohner vor allem spürbar als ständige Bedrohung vom Himmel durch die Drohnen der "Freunde".

 

Nun also hätten wir – die USA, Europa, auch Russland – die Chance, zu einem politischen Handeln im Sinne der Flutopfer zu finden. Und zugleich im eigenen Interesse. Nicht mit einem Kredit, also künftigen Schulden, wie sie die Weltbank anbietet (hat eigentlich mal jemand gehört, dass wir von Afghanistan das Geld für die militärische "Befreiung" zurückverlangen?). Auch nicht mit einem Almosen von einer halben Milliarde Dollar weltweit, das doch nur den Wiederaufbau ermöglichen würde und nicht die Hoffnung auf Besseres. Der Marshallplan, den wir bräuchten, läge sicher in der Nähe dessen, was Pakistan kalkuliert, also bei 15 Milliarden Dollar. Straßen, Schulen (5000 davon sollen zerstört sein!), Landwirtschaft mit stabiler Einkommens-Perspektivepathetisch gesagt: Zukunft. Eine Alternative zugleich zur wachsenden Zustimmung für die Taliban, die nicht aus Glauben wächst, sondern aus Überdruss an Stillstand und Gewalt.

 

Ein neues Afghanistan, so begründen die dort kämpfenden Verbündeten ihren Krieg, wollten sie am Hindukusch bauen. Nebenan, in Pakistan, haben sie vielleicht die Chance, auf zerstörtem Grund, aber ohne Krieg etwas Neues zu bauen. Etwas Neues, das ganz nebenbei auch uns allen mehr Sicherheit verspräche, weil es die wankende Atommacht stabiler machen könnte. Klein mag sie sein, die Chance. Aber wer sieht, was die kriegerische Alternative anderswo hinterlässt, darf wohl sagen: Schlimmer kann es nicht enden.

 

In Pakistan, heißt es, fehlen den Rettern Hubschrauber. Wie wäre es, wenn die Isaf in Afghanistan vorübergehend auf einige davon verzichten würde? Das wäre vielleicht ein Anfang.