Die letzten Klimaschützer

 

Von Joachim Wille

 

Der Kölner Dom halb unter Wasser. Das war das Titelbild, mit dem das Magazin Spiegel im Jahr 1986 Furore machte. Es illustrierte die heraufziehende "Klima-Katastrophe". Ein um 70 Meter erhöhter Meeresspiegel, so die Horrorvision, verschluckt weite Teile Deutschlands.

 

Das haute rein. Es erzeugte Angst vor einem bald drohenden Untergang. Aber es war natürlich eine Vision, die extrem überzogen schien. Es würde in einer stark angeheizten Treibhauswelt Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende dauern, bis die Eis-schilde von Grönland und vom Südpol komplett abgeschmolzen sind. Erst dann, viele Generationen weiter, läge der Meeresspiegel um 70 oder mehr Meter höher.

 

Solche medialen Übertreibungen schadeten eher, als dass sie nützten. Das Wort Klima-"Katastrophe" kam auf den Index. Fortan war nur noch vom Klima-"Wandel" die Rede. Inzwischen, über zwei Jahrzehnte später - und vor Beginn des vielleicht entscheidenden Weltklimagipfels in Kopenhagen - ist die Beweisaufnahme der Klimaforscher weitgehend abgeschlossen. Zwar gibt es immer noch "Klimaskeptiker", die Zweifel an Sachverstand, Seriosität und Neutralität der in dem Metier führenden Wissenschaftler pflegen und gerade jetzt ein "Klimagate" konstruieren, doch sie dringen zu Recht nicht mehr durch.

 

Die Belege dafür, dass die Erde sich in einem Klimawandel befindet, wie ihn die modernen Hochkulturen in ihrer Geschichte noch nie erlebt haben, sind erdrückend. Zudem häufen sich dramatische Signale. Die Veränderung läuft offenbar schneller, als es der UN-Klimarat in seinem großen Report 2007 voraussagte. Und inzwischen weiß man genau, wie das Szenario für die - jawohl - "Klimakatastrophe" aussieht. Erwärmt sich die Erde stärker als um zwei Grad, drohen "Kippschalter" im Erdsystem umgelegt zu werden, die nicht mehr reversible Prozesse starten. Das Grönland-Eis könnte schmelzen, der Amazonas-Regenwald austrocknen, der indischen Monsun instabil werden - nur drei Beispiele.

 

Mit anderen Worten: Verfehlen die führenden Klimapolitiker Obama, Wen Jiabao, Merkel und Co. sowie ihre Nachfolger das Zwei-Grad-Ziel, laden sie ungeahnte Verantwortung auf sich. Binnen weniger Jahrzehnte würde jene 10000 Jahre lange Phase eines relativ stabilen, gemäßigten Klimas beendet, in der sich die menschlichen Zivilisationen entwickelt haben.

 

Alarmismus ist zwar fehl am Platze. Doch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat recht, wenn er sagt: "In Kopenhagen steht die Zukunft des Planeten auf dem Spiel." Und wenn er resümiert: "Wir sind die letzte Generation, die handeln kann." Das heißt: Treten wir nicht beherzt auf die Klimawandel-Bremse, dann gibt es später nur noch das Gaspedal.

 

Umso grotesker erscheint, wie die Klima-Mächte der Welt im Vorfeld des Kopenhagen-Gipfels agierten. Zwar gaben sie 2008 auf Bali das Signal für ein wegweisendes "Kopenhagen-Protokoll". Doch sie verplemperten jede Menge Zeit und Energie. Sie taten, als hätten sie noch einen Planeten in Reserve. Zwei Jahre vergingen mit fruchtlosen Zwischenkonferenzen, und nicht einmal die eigens auf höchster Ebene anberaumten Sonder-Klimagipfel unter UN- und G20-Verantwortung brachten wirkliche Fortschritte. Schlimmer, dachte man, geht es nimmer. Aber es ging noch schlimmer: Das Apec-Treffen in Singapur drei Wochen vor Kopenhagen vermittelte den Eindruck, als könne man den Klimagipfel mangels Interesses der Weltenlenker auch gleich ganz absagen. Ein Kopenhagen-Protokoll werde es sowieso nicht geben, verkündeten die USA und China.

 

Das, immerhin, war ein heilsamer Schock. Seither haben über 70 Staats- und Regierungschefs zugesagt, nach Kopenhagen zu kommen, so viele wie noch nie auf einem reinen Klimagipfel. Und seither keimte wieder Hoffnung, die so stark wurde, dass sie die allerneuesten Rückschläge überdauert. Etwa das Dekabel der australischen Regierung, die ihr Klimaschutzgesetz nicht durchs Parlament brachte. Oder das angekündigte Nein der Schwellenländer zu dem Plan, wenigstens das Zwei-Grad-Ziel in die nun angestrebte Kopenhagen-Erklärung aufzunehmen, aus der dann im Laufe des nächsten Jahres ein Kyoto-Nachfolgeprotokoll gestrickt werden soll.

 

Gemessen an dem, was auf dem Spiel steht, können Obama und Co. es sich eigentlich nicht leisten, in Kopenhagen nur heiße Luft zu produzieren. Tun sie es doch, hilft nur noch beten. Im Kölner Dom oder sonst wo, wo es noch trocken ist.