Ein antiautoritäres Volk
Der Iran hat ein sehr schlechtes Image. Das hat viel mit dem
Präsidenten zu tun. Es gibt aber weit mehr
politische Facetten.
Karl
Grobe
Barack Obama hat sich als
Platzanweiser betätigt.
Iran möge bitte den ihm zustehenden Platz inmitten aller Nationen einnehmen und brav sein; auf der Achse
des Bösen sitzt es sich ja auch schlecht.
Nun sollen Diplomatie
wie auch Wahrheitsliebe den politischen Verkehr der beiden
Staaten bestimmen. Höchste Zeit, einiges klarzustellen, was bisher wegen politischer Unkorrektheit so nicht gesagt werden durfte.
Iran hat ein Parlament, es heißt Majlis. Es hat vor zwei Wochen dem
Präsidenten - er heißt immer noch
Ahmadinedschad - seinen Haushaltsplan um die Ohren geschlagen. Dass der Präsident den Unmut der Bürger
über heftige Preissteigerungen einfach mit einer Einmalzahlung
von umgerechnet 50 Euro pro Person dämpfen wollte, roch nicht nur
für Oppositionelle nach Wahlspeck, sondern auch für
die meisten regierungsnahen
Abgeordneten. Sie weigerten sich,
dem Etat zuzustimmen. So was würde sich die Moskauer Staatsduma nie trauen; und auch in anderen Ländern sollten Abgeordnete, die nicht genau wissen,
ob ihr Gewissen ihnen oder ihrer
Partei gehört, sich das Protokoll der Majlis-Debatte übersetzen lassen.
Iran hat also ein Parlament. Wer hinein darf,
bestimmen zwar vor den Wählern die Experten-, Zweckmäßigkeits- und sonstigen Aufsichts-Räte der hohen Geistlichkeit.
Die Wähler gibt es aber auch.
Iran ist weiterhin
ein autoritärer Staat; ein großer
Teil des Volkes aber ist antiautoritär.
Man nennt dies: Zivilgesellschaft.
Das bedeutet unter anderem, dass der
Mehrheit die rhetorischen Ausrutscher des Präsidenten nicht zur Last gelegt werden dürfen,
selbst wenn er sagt, was er
meint. Und auch dann ist
es angeraten, genau hinzuhören und exakt zu übersetzen.
Damit nicht die Informierten wieder laut lachen, wenn
er nicht nur als
Holocaust-Leugner, sondern als Antisemit schlechthin
erscheint.
Die jüdische
Religion, das Christentum und die zoroastrische
Religion sind legal. Ihren Anhängern - kleine Minderheiten - stehen fünf der 270 Abgeordnetenplätze
zu. In leitende Regierungsämter dürfen sie nicht; das dürfen auch die viel zahlreicheren sunnitischen Muslime nicht. Darüber, dass keine dieser
tolerierten Gruppen die Grenzen der Tolerierung
verletzt oder
gar zu missionieren versucht, wachen die Ayatollahs genau. Dem Islam abtrünnig zu werden, ist todeswürdig. Nicht nur im Iran.
Das ist der historische
Hintergrund der Verfolgung der größten religiösen Minderheit, der Bahai. Seit diese
Religion um 1840 entstand, verfolgen
die Inhaber des rechten Glaubens sie als
Abtrünnige, bezichtigen sie ohne Beweis
der Spionage für Israel, der Wühlarbeit für die USA und des Strebens nach Wiederkehr
der Monarchie.
Schah Mohammed Reza Pahlevi hatte
allerdings Politiker aus Bahai-Familien in den Dienst seiner Diktatur gestellt. Der bis zur
Unerträglichkeit arrogante
Amir Abbas Howeyda war Regierungschef, Parviz Sabeti war Geheimdienstchef und gefürchteter Folterer; weitere Minister und des Schahs Leibarzt stammten aus Bahai-Familien.
Alle waren allerdings vor Amtsantritt aus der Glaubensgemeinschaft ausgetreten,
was diese ausdrücklich zulässt.
In den Verdammungs-Cocktail
mischt sich zudem die Erinnerung daran, dass der
Schah durch einen CIA-gesteuerten Putsch 1953
seine Macht zurückerhielt -
gegen die Bürgergesellschaft.
Über diesen Putsch wird auch Obama noch sprechen müssen. Zum iranischen Volk.
Karl Grobe
ist freier
Autor.