Der Stellvertreter-Krieg

 

Von Karl Grobe

 

Der olympische Frieden findet nicht statt, schon gar nicht im Kaukasus. Die seit einer Woche sich ständig steigernden Schießereien weiten sich zu einem Krieg aus, und es ist nicht abzusehen, dass er auf die Republik Georgien und ihre abtrünnige Region Südossetien begrenzbar ist. In deren Hauptstadt Zchinwali sind georgische reguläre Truppen vorgestoßen. Abchasien, die andere abtrünnige Region, hat die Entsendung von Freiwilligen zur Unterstützung Südossetiens angekündigt; das lässt einen Zweifrontenkrieg auf georgischem Territorium befürchten.

 

Wladimir Putin, Russlands Premierminister, sprach in der Olympiastadt Peking schon von energischen Gegenmaßnahmen, Präsident Dmitri Medwedew sortiert deren Katalog - es ist die erste Krise in seiner Amtszeit -, unterdessen ruft Georgiens Staatschef Micheil Saakaschwili alle Reservisten zu den Waffen. Es ist jetzt schon mehr als als eine begrenzte Auseinandersetzung innerhalb dessen, was auf den Landkarten Georgien heißt. Es ist Krieg.

 

Die georgische Regierung hat ein völkerrechtliches Argument auf ihrer Seite: Der Abfall der beiden Regionen und ihre Unabhängigkeitserklärungen sind von keinem Staat anerkannt worden. Daraus leitet Präsident Saakaschwili ab, dass letztlich jede Militäraktion zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit legitim sei. So weit, so klar. Dass er aber noch am Donnerstag von Feuereinstellung redete, während der Vormarsch auf Zchinwali - dergleichen wird vorbereitet und geschieht nicht spontan - bereits lief, weist ihn nicht als den ehrlichsten aller Politiker der Region aus.

 

Die Führer der separatistischen Bewegungen berufen sich hingegen auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und wollen dies nicht auf kulturelle Autonomie im georgischen Staat begrenzt sehen. Sie können zudem historische Gründe anführen, die Stichworte lauten: Russischer Imperialismus im 19. und sowjetische Unterdrückung im 20. Jahrhundert, deren Handlungsbevollmächtigte im Süden die Tifliser Herren waren und deren Spiel die Regierung Saakaschwili nun auf die Spitze der Waffen treibt. Ossetien ist seit zwei Jahrhunderten gespalten in einen größeren nördlichen Teil, der russischer Verwaltung untersteht, und einen kleineren südlichen Bezirk unter georgischer Herrschaft. Eine Vereinigung beider wäre nur möglich, wenn die Staatsgrenzen im Kaukasus neu festgelegt werden.

 

Eine Rechtfertigung für einen Krieg, der in der Konsequenz die Lebensgrundlagen der darin verwickelten Völker zerstören würde, lässt sich aus alledem nicht ableiten. Doch den unmittelbaren Akteuren und denen im weiteren Hintergrund geht es gar nicht um die kleinen Völker im Kaukasus, ihre alten Traditionen und ihre gegenwärtige Bedrängnis. Da spielen ganz andere Interessen mit; Faktoren gegen eine Friedenslösung. Russland hat sich Abchasiens und Südossetiens immer wieder und nicht ohne eine gehörige Portion Zynismus bedient, um Druck auf Tiflis auszuüben - Saakaschwilis Regierung drängt sich ja energischer in die Nähe der Nato, der EU und letztendlich der USA als ihre Vorgänger.

 

Die nicht gerade klammheimliche Drohung, wenn Kosovo unabhängig werde, wolle Russland in Sachen Abchasien und Südossetien nicht grinsend beiseite stehen, ist noch in aller Ohren. Was aus der Sicht des Kremls in den Kontext der von Washington gewollten Einkreisung Russlands gehört, stellt aber aus der Sicht der georgischen Führung eine notwendige Garantie der eigenen Souveränität dar.

 

Deshalb ist der georgische Krieg gefährlich weit über die Region hinaus. Wird er zum Stellvertreterkonflikt zwischen "Ost" und "West", bedeutet das eine globale Konfrontation. Für Europa hat das erhebliche Konsequenzen vor allem wirtschaftlicher Art, Stichwort: Erdöl und Erdgas. Russland steht dann Isolation ins Haus, was den nationalistischen Kräften im Lande erheblichen Auftritt gäbe mit der Folge weiterer Konfrontationspolitik.

 

Die UN werden ihrer erwünschten Rolle als Friedensstifter da nicht gerecht; an der Veto-Macht der USA und Russlands im Sicherheitsrat scheitert die Einheit. Der Rat kann mahnen und bedauern. Der Aufruf des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon, den olympischen Frieden zu respektieren, ist unter diesen Voraussetzungen gut gemeint. Mehr nicht. Die Kraft, die Kriegsparteien an die Leine zu legen, hätten Moskau und Washington; beide wollen aber kein Terrain einbüßen und heizen durch Zögern und Kraftworte den Konflikt weiter auf.