Militärmarsch der Amerikaner entzweit Tschechen
Die amerikanische Armee ist derzeit auf einem vertrauensbildenden „road march“ durch sechs Nato-Länder im Osten. In Tschechien stoßen sie auf Protest und polarisieren die öffentliche Meinung, wie zuletzt vor acht Jahren.
von KARL-PETER SCHWARZ, WIEN
Seit Anfang dieser Woche bewegt sich ein Konvoi des 2. US-Kavallerieregiments mit 518 Soldaten und 118 Militärfahrzeugen, vorwiegend Radschützenpanzer des Typs Stryker, vom Baltikum in die Oberpfalz. Auf einer Strecke von 1800 Kilometer durchquert er auf dem Weg zum Stützpunkt Vilseck sechs Nato-Länder – Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Tschechische Republik und Deutschland. Die Soldaten kehren zurück von einem gemeinsamen Manöver mit den estnischen Streitkräften.
Statt ihre Fahrzeuge wie üblich mit der Bahn zu befördern, entschied sich die amerikanische Armee für einen „road march“, um ihre Fähigkeit und ihre Bereitschaft zur Verteidigung der Nato-Länder im Osten zu demonstrieren. Entlang der Strecke sind Begegnungen mit der lokalen Bevölkerung vorgesehen, um – wie ein Sprecher der amerikanischen Streitkräfte in Europa sagte – „die Wertschätzung für die kulturellen Unterschiede innerhalb der Allianz zu vertiefen“ und das „Vertrauen zwischen den Alliierten“ zu stärken.
Am Sonntagmittag erreichte der Konvoi Grenzübergänge Nachod und Bohumin zu Tschechien. Spätestens nun dürfte den Soldaten bewusst werden, dass sie dort nicht ganz so gerne gesehen werden wie in den vier Nato-Ländern im Nordosten, die an die Russische Föderation grenzen. Da und dort werden sie zwar freundlich auf altslawische Sitte mit Brot und Salz empfangen werden. In Reichenberg (Liberec), wo ein Teil der Soldaten die erste Nacht verbringen wird, will die Gemeinde eine Begegnung mit den Bürgern organisieren, und tschechische Soldaten haben sich freiwillig für den Begleitschutz ihrer amerikanischen Kameraden gemeldet.
Wiedererstarken antiamerikanischer Bewegungen
Schon am Samstag hatte auf dem Prager Wenzelsplatz eine von der kommunistischen Partei und mehreren nationalistischen, pazifistischen und linksradikalen Gruppen organisierte Demonstration „gegen die amerikanische militärische Invasion“ stattgefunden. Etwa 300 Gegner des Konvois gingen auf die Straße. Etwa ebenso viele fanden sich auf dem Wenzelsplatz ein, um ihre Verbundenheit mit Amerika und der Nato-Militärallianz zu demonstrieren. Bereitschaftspolizisten trennten die beiden Lager voneinander. Am Grenzübergang Harrachsdorf (Harrachov) im Riesengebirge wollten Linksextremisten den Konvoi blockieren, über die sozialen Medien rufen sie zur Anwendung von Gewalt auf.
Bis die Soldaten am Mittwoch über den Grenzübergang Rozvadov–Waidhaus das Land verlassen, werden weitere Protestkundgebungen erwartet. Der Staatsanwaltschaft in Brünn liegt sogar eine Anzeige gegen Ministerpräsident Bohumil Sobotka, Außenminister Lubomír Zaorálek und Verteidigungsminister Martin Stropnický vor. Ihnen wird „Hochverrat“ vorgeworfen, weil sie den Durchzug des Konvois genehmigten.
Antiamerikanische Aufwallungen dieses Ausmaßes hatte es in der Tschechischen Republik zuletzt vor acht Jahren im Zusammenhang mit der damals noch vorgesehenen Errichtung einer Radarstation des Raketenabwehrsystems gegeben. Erst als Barack Obama den von George W. Bush verfolgten Plan aufgab, um Moskau zu beschwichtigen, beruhigten sich die Gemüter. Indes hat der unerklärte Krieg Russlands gegen die Ukraine die öffentliche Meinung abermals polarisiert und der antiamerikanischen Bewegung „No to Bases“ neuen Auftrieb gegeben.
Pragmatismus ist populärer als Loyalität
Die Debatte, klagte Verteidigungsminister Stropnický, nehme allmählich „Schwejksche Züge“ an. Schließlich sei die Tschechische Republik der Nato nicht auf amerikanischen Druck, sondern aus freien Stücken beigetreten und genieße als Mitglied der „kompaktesten und effizientesten Verteidigungsgemeinschaft“ einen nie zuvor gekannten Grad an Sicherheit. Die Proteste gegen den Durchzug der amerikanischen Soldaten seien ihm einfach „peinlich“. Der konservative Oppositionspolitiker Miroslav Kalousek warnte vor einer Mobilisierung „post-kommunistischer Zombies“, und Präsident Miloš Zeman, der die Welt der Einfachheit halber in Zemanisten und Deppen einteilt, sprach von „antiamerikanischen Idioten“, die er ebenso sehr bekämpfe wie die „antirussischen Idioten“ auf der anderen Seite.
Zeman dürfte der vorherrschenden Stimmung der Tschechen noch am ehesten entsprechen. Sie sind es gewohnt, dass ihre Präsidenten ihre nationale Außergewöhnlichkeit zum Ausdruck bringen, das war unter entgegengesetzten Vorzeichen auch schon unter Zemans Vorgängern Havel und Klaus der Fall. Äquidistanz ist populär und Pragmatismus allemal populärer als außen- und sicherheitspolitische Loyalität. Seit der Annexion der Krim und der russischen Intervention in der Ostukraine schlägt die Regierung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka einen ambivalenten Kurs ein, der einerseits darauf bedacht ist, die Partner in der EU und in der Nato nicht zu brüskieren, andererseits darauf dringt, die Sanktionen zu mildern, um Putin milde zu stimmen.
Präsident Zeman nimmt an Moskauer Siegesparade teil
Die Entfremdung zwischen Polen und der Tschechischen Republik wurde offenkundig, als sich Sobotka Ende Januar mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico und dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann in Austerlitz (Slavkov) für einen sanfteren Umgang mit der Russland aussprachen. Ungeachtet alter Differenzen zwischen Wien, Prag und Pressburg (Bratislava), vor allem in der Frage der Energiepolitik, einigte man sich auf jährliche trilaterale Treffen im Austerlitz-Format. In der regional bisher dominierenden Visegrád-Gruppe (Polen, Slowakei, Tschechische Republik und Ungarn) gibt es keine gemeinsame Haltung gegenüber Moskau.
Der tschechische Präsident Zeman wird am 9. Mai an der Siegesparade in Moskau teilnehmen, die von Amerika und den meisten EU-Staaten boykottiert wird. Außer ihm haben bisher der griechische Ministerpräsident Tsipras, der serbische Präsident Tomislav Nikolić, der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un sowie führende Politiker Chinas, Kubas und Vietnams zugesagt. Ob der österreichische Präsident Heinz Fischer dem Ereignis beiwohnen wird, ist noch offen.
Die tschechische Opposition und die christlich-demokratische Partei, die der tschechischen Koalition angehört, kritisieren Zemans Entscheidung. Ministerpräsident Sobotka billigt sie, obwohl er selbst nicht nach Moskau fahren wird. Prominente tschechische Intellektuelle forderten in einem offenen Brief Zemans Rücktritt. Der slowakische Präsident Andrej Kiska lehnte die Einladung Putins ab. „Angesichts der Ereignisse in der Ukraine und auf der Krim will ich nicht an einer Feier militärischer Stärke teilnehmen“, sagte Kiska. Er will am 8. Mai stattdessen die Gräber der in der Slowakei gefallenen Soldaten besuchen.
Geboren 1952 in Villach (Österreich), Studium der Geschichte und Romanistik in Wien und Rom, Magister. Erste journalistische Erfahrungen in der außenpolitischen Redaktion der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“ (1982 bis 1984), dann in der Nachrichtenredaktion („Zeit im Bild“) des österreichischen Fernsehens (ORF). 1986 bis 1990 Auslandskorrespondent des ORF für Hörfunk und Fernsehen in Rom. 1990 bis 1995 Auslandskorrespondent für „Die Presse“ in Prag. 1996 bis 2000 stellvertretender Chefredakteur der „Presse“. Nach dem Wechsel zur F.A.Z. im November 2000 zehn Jahre lang Korrespondent in Prag. Berichtet nun mit Sitz in Wien über Politik und Wirtschaft in der Tschechischen Republik, in der Slowakei, Rumänien, Slowenien, Kroatien, Montenegro und Albanien. Publikationen: „Tschechen und Slowaken. Der lange Weg zur friedlichen Teilung“. Wien, Europa-Verlag, 1993. Zahlreiche Aufsätze in Zeitschriften (Schwerpunkt Zeitgeschichte) und TV-Dokumentationen. Verheiratet.