Der Preis des Journalismus
06.08.2013
Der Verkauf der „Washington Post“ an Jeff Bezos
ist eine weitere Zäsur im
Journalismus. Sollte der Amazon-Gründer das Traditionsblatt nach gewohnten Prinzipien führen, wäre es
der Totalausverkauf journalistischer Werte.
Von
MICHAEL HANFELD
Am
Tag, als Jeff Bezos die
„Washington Post“ kaufte, war schon
zu sehen, was der Wechsel des Eigentümers für die Zeitung bedeutet. Der Bericht in eigener Sache kündete
ganz sacht von der Verwunderung darüber, dass die „Post“, die symbolhaft für den unabhängigen Zeitungsjournalismus
steht, an einen Online-Händler verkauft wird, dessen Firma Amazon geistiges Eigentum und geistige Arbeit verschleudert. Doch machte sich in den Kommentaren schon die Bewunderung für den Selfmade-Tycoon breit, dessen Privatvermögen auf fünfundzwanzig Milliarden Dollar geschätzt wird. „Ist Jeff Bezos verrückt?“ fragte ein Blogger der „Post“. Das sei er selbstverständlich
nicht, vielmehr ein Visionär, der
an das große Bild glaube. Formuliert war die Frage nach der
„Verrücktheit“ allerdings mit Blick auf Bezos’
Investition, die sich vielleicht nicht rechne. Im Grunde
sei der Online-Händler kein Kapitalist,
sondern einem Journalisten nicht unähnlich.
Jeff
Bezos ist bestimmt nicht verrückt. Aber auch kein verkannter
Journalist. Bezos ist ein Händler, der
Preise drückt, ein Monopolist, der die Buchbranche vernichtet, ein Verkäufer, der in Tagesfrist die Ware zum Kunden bringt,
koste es die Produzenten, was es wolle. Er beherrscht
die Wertschöpfungskette, ohne
selbst Werte zu schaffen. Einen
Wert aber weiß er zu bedienen
wie kein Zweiter: Bezos kennt die Wünsche seiner Kunden, er sagt
sie sogar voraus. Wer einmal
bei Amazon eingekauft hat, der weiß es.
Ein Retter journalistischer Werte?
Darauf stellt der neue Eigentümer
in seinem Brief ab, den er den Mitarbeitern der „Washington Post“ geschrieben
hat: Die Zeitung sei ihren Lesern verpflichtet,
nicht den Geldgebern. Das klingt gut, bedeutet im Amazon-Jargon aber vor allem, dass
die Leser als Kunden zu verstehen
sind, mit vornehmlich materiellen Wünschen. Doch noch etwas stellt
Bezos heraus, und daran muss man ihn als Zeitungseigentümer messen: Die Werte der „Washington Post“ bedürften keiner Veränderung.
Verstehen wir als den Wert den Journalismus,
die Recherche, die Enthüllung,
die Analyse, die Kommentierung
und die kritische, unabhängige,
vorurteilsfreie Betrachtung
aller Lebenssachverhalte, dann behalten all diejenigen Recht, die den Verkauf der Zeitung
an Bezos bejubeln. Also auch der „Post“-Veteran Bob
Woodward, der ganz begeistert ist, und Carl
Bernstein, der sich etwas zurückhaltender äußert - die beiden Reporter
also, die 1974 mit der Aufdeckung des Watergate-Skandals,
der zum Rücktritt
des Präsidenten Richard Nixon führte,
den Ruf der Zeitung als Enthüllungsblatt
begründet haben. Von diesem Ruf hat die Post gezehrt, sie hat ihn in den vergangenen Jahren aber eher
verwaltet denn aufs Neue bestätigt
und ist - wie fast alle Zeitungsverlage - in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.
Journalismus als Ramschware
Dass es um diese geht und nicht um den Journalismus, sollte man an dieser Stelle betonen, da im Internet Möchtegern-Journalisten unablässig
das Ende der Zeitung und des Journalismus beschwören - und selbst kein Geschäftsmodell haben, was sie Verlegern stets vorhalten. An der Bedeutung des Journalismus, wie er von Zeitungen und Zeitschriften geprägt wird, hat sich nichts geändert. Noch immer orientieren
sich die Debatten in Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft an dem, was Redaktionen zutage fördern. Journalisten sind als Stichwortgeber längst nicht mehr
allein, aber im Gegensatz zu
Online-Konzernen wie
Google, die ihr Eigeninteresse
als Allgemeinwohl ausgeben, viel ehrlichere Makler auf dem Markt der
Meinungen.
Es
ist ein Irrsinn,
dass Journalisten sich an der Verächtlichmachung
ihrer Profession und ihrer gesellschaftlichen Aufgabe auch noch munter
beteiligen. Sie verlieren dabei aus dem Blick,
dass es beim
Thema „Krise der Zeitungen“ um ökonomische Fragen geht. Der Springer-Konzern hat sie gerade erst beantwortet
und für 920 Millionen Euro Zeitungen und Magazine an die Funke-Gruppe
verkauft. Nicht, dass die Titel keine Bedeutung mehr hätten. Sie
werfen nur nicht mehr genug
Gewinn ab. So wird der Journalismus zur Ramschware und aus einem Verlag
ein Digitalkasino. Der Springer-Verkauf war für die deutsche Zeitungslandschaft
eine Zäsur, so wie es der
Verkauf der Post an Bezos für die amerikanische
ist.
Bei den weltweiten
Konzentrationsbewegungen, welche
die Online-Konzerne nun am Beispiel
von Zeitungen exerzieren,
muss man sich aber auch fragen, ob Lenin mit seiner Theorie des Staatsmonopolkapitalismus nicht doch Recht behalten
könnte: Die Welt wird bestimmt von einer FinanzDaten-Online-Oligarchie, mit besten Verbindungen
zum Geheimdienst.
Wie es Jeff Bezos mit den „Werten“ der „Washington Post“ hält, wird man bald sehen, wenn es
um Berichterstattung über
Amazon geht. Dass Bezos argumentiert, er kaufe die „Post“ als Privatmann, hat nur den Grund, dass er kartellrechtliche
Probleme vermeiden will. Ansonsten bedeutet es nichts - Bezos
ist Amazon. Vielleicht ist er wirklich
der Retter. Soll er zeigen,
dass er mehr
kann als Schleuderpreise diktieren. Kennte Bezos den ideellen Wert von Journalismus, wäre alles in Ordnung.
Vielleicht weiß der Amazon-Chef insgeheim, dass die Dinge, die er feilbietet, viel mehr wert sind als den Preis,
für den er sie anbietet.