Obamas Angriff auf die Pressefreiheit
21.05.2013
Mit Drohnen und Spitzeln: Das Weiße Haus führt gegen
seine Gegner einen geheimen Krieg. Dabei geraten auch Journalisten
ins Fadenkreuz. Sie werden als „Mitverschwörer“
verfolgt.
Von
MATTHIAS RÜB
EEs hat Monate, ja Jahre gedauert,
bis eine offenbar kollektiv hypnotisierte westliche Öffentlichkeit den geheimen Drohnenkrieg von Präsident Barack
Obama auch nur zur Kenntnis nehmen,
geschweige denn in Frage stellen wollte.
Hatte der Politiker mit der
Messias-Rhetorik nicht versprochen, unter ihm würden die Kriege Amerikas abebben, er werde
das ramponierte Ansehen der Supermacht auf dem gesamten Erdkreis
- zumal in der muslimischen Welt - mittels
Dialog auf Augenhöhe wiederherstellen?
Zudem war Obama, der sich selbst als
Figur einer großen historischen
Transformation bewarb, noch
im ersten Jahr seiner Amtszeit mit dem Friedensnobelpreis
ausgezeichnet worden.
Inzwischen weiß man, dass Obama bis Dezember 2009, als er in Oslo den Nobelpreis entgegennahm, schon mehr geheime Drohnenangriffe
befohlen hatte als sein Amtsvorgänger
George W. Bush in seiner gesamten achtjährigen
Amtszeit. Nach drei Jahren im
Weißen Haus waren auf Obamas Befehl doppelt so viele Terrorverdächtige (und Hunderte unschuldige Zivilisten als „Kollateralschaden“ dazu) von Drohnen getötet worden wie jemals
unter Bush im Gefangenenlager Guantánamo inhaftiert
waren. Die Treffen Obamas mit seinen
Spitzenberatern, bei dem der Präsident
anhand der von den Geheimdiensten für ihn vorbereiteten „Kill List“ (Tötungsliste) die nächsten Verdächtigen am Hindukusch, auf der Arabischen Halbinsel oder am Horn von Afrika zum Abschuss
freigibt, finden gemäß Jargon des Weißen Hauses immer am „Terror Tuesday“
(Terror-Dienstag) statt. Dass Obamas Drohnenkrieg
Amerika und die Welt von der
Geißel des islamistischen Terrorismus befreit oder auch nur
sicherer macht, glaubt kaum mehr
jemand.
Eine Bedrohung für die nationale Sicherheit
Dieser Tage wird in den Vereinigten Staaten von einem zweiten Geheimkrieg Obamas gesprochen - im Internetmagazin „Slate“ gab
Fred Kaplan seiner jüngsten Kolumne
der „War Stories“ ausdrücklich
den Titel „Obama’s Other Secret War“ (Obamas anderer geheimer Krieg). Dieser Feldzug an der Heimatfront richtet sich gegen politische
Gegner im Umfeld der rechtskonservativen
Graswurzelbewegung der „Tea
Party“, die ins Visier der Bundessteuerbehörde IRS geraten,
und vor allem gegen Journalisten, deren investigative Arbeit vom Justizministerium bespitzelt wird. Nichts spricht dafür, dass der
Präsident selbst im Oval Office über einer symbolischen „Kill List“ brütet und dann verschiedene Behörden und Ministerien auf seine Gegner im Inneren loslässt.
Immer wieder beteuert der Präsident,
er habe von den jüngsten Skandalen ebenfalls „erst jüngst aus der
Presse erfahren“. Bald zeigt sich Obama erzürnt über die gezielte Kujonierung von Organisationen und Stiftungen aus dem Umkreis
der „Tea Party“, deren Anträge auf Anerkennung der steuerbefreiten Gemeinnützigkeit von IRS-Beamten gezielt verschleppt wurden; und dann feuert der Präsident
den amtierenden IRS-Direktor.
Bald aber mauert das Weiße Haus, weist
den Vorwurf der gezielten Bespitzelung missliebiger Journalisten durch das Justizministerium zurück und versteckt sich hinter dem Argument, die Preisgabe geheimer Informationen durch die Medien bedrohe die nationale Sicherheit und könne das Leben von Mitarbeitern und Informanten der Dienste gefährden.
Im Übrigen lehnt Obamas überforderter
Sprecher Jay Carney, der frühere Washingtoner Bürochef des Wochenblatts „Time“,
Stellungnahmen zu „laufenden Ermittlungen“ ab.
Telefonanschlüsse und privater E-Mail-Verkehr
Die
in den vergangenen Tagen bekanntgewordenen Fälle der Bespitzelung der Nachrichtenagentur Associated
Press (AP) und des Washingtoner Bürochefs
des konservativen Senders „Fox News“, James Rosen, sind aber keine
Ermittlungen gegen Regierungsmitarbeiter wegen Geheimnisverrats. Es sind Angriffe auf die Pressefreiheit
und Rachefeldzüge gegen
Reporter, die sich nicht an
die von Obamas Leuten im Weißen Haus
gewünschte Agenda und „Storyline“ halten.
Der Zugriff auf Verbindungsdaten von Telefonaten
von AP-Mitarbeitern vom
April und Mai 2012 erfolgte, weil
die Agentur über einen vereitelten Terroranschlag auf ein Passagierflugzeug recherchiert
und berichtet hatte, der vom jemenitischen
Ableger des Terrornetzes Al
Qaida im Mai 2012 - aus Anlass des ersten Jahrestages der Tötung von Usama Bin Ladin - geplant worden war. Das widersprach Obamas Kampagnenbotschaft im Präsidentschaftswahlkampf
2012, wonach Al Qaida nach der Tötung Bin Ladins im Mai 2011 nicht mehr zu
katastrophalen Terroranschlägen
gegen Amerika in der Lage sei.
Das Justizministerium begründete
seinen Zugriff auf die Verbindungsdaten von mehr als zwanzig Telefonanschlüssen
von AP-Büros sowie von Dienst- und Privatanschlüssen mehrerer Journalisten mit dem Argument, die AP-Mitarbeiter seien Mitverschwörer beim Geheimnisverrat gewesen.
Nach dem gleichen Muster ging das Ministerium im Fall von James
Rosen von „Fox News“ vor. Der
Reporter geriet ins Visier der Regierungsspitzel, weil er als
„Mitverschwörer“ eines Mitarbeiters des Außenministeriums
beschuldigt wurde, der als Leck
von geheimen Informationen identifiziert worden war. Rosen hatte von dem ehemaligen
Nordkorea-Experten des State Department, Stephen
Jin-Woo Kim, Informationen aus
einem klassifizierten Bericht vom Juni
2009 erhalten, wonach abermals verschärfte Sanktionen der Staatengemeinschaft gegen Pjöngjang das Regime in Nordkorea
zu neuen Atomtests veranlassen dürften. Der Auslandsgeheimdienst
CIA soll die Informationen
von Quellen in Nordkorea selbst erhalten haben. Wie die „Washington Post“ berichtete, besorgten sich die Ermittler der Bundespolizei FBI die Daten der elektronischen
Zugangskarte des Journalisten
für das State Department sowie
Rosens Telefonverbindungsdaten;
außerdem durchleuchteten sie seinen persönlichen
E-Mail-Verkehr. In einem Schriftstück des FBI heißt es über Rosen, der Reporter habe Kim „durch die Anwendung von Schmeicheleien und unter Ausnutzung von Kims Eitelkeit“ die Geheiminformationen
entlockt.
Reporter
und Spione
Niemand hat das Recht
der Behörden in Frage gestellt, einen Regierungsmitarbeiter strafrechtlich zu verfolgen, wenn dieser im Verdacht
steht, seinen Diensteid auf Geheimhaltung gebrochen zu haben.
Umso mehr hat die exzessive Bespitzelung von Journalisten als „Mitverschwörer“ für Entsetzen gesorgt, wenn diese an vertrauliche
oder geheime Informationen zu gelangen versuchen, indem sie sich
womöglich das Ego eines Regierungsmitarbeiters zunutze machen. Medien und Bürgerrechtsorganisationen sowie zahlreiche Politiker beider Parteien haben die Bespitzelungen von AP
und James Rosen als Angriff
der Regierung auf das Verfassungsrecht der Pressefreiheit gebrandmarkt.
Hinzu kommt, dass Obamas engste
Mitarbeiter im Weißen Haus die Reporter linksliberaler Medien - zumal der „New York Times“ - selbst immer wieder
mit geheimen und vertraulichen Informationen gefüttert haben, wenn die „durchgesickerten“ Geschichten in die politische
Agenda des Präsidenten passten.
Über die Kommandoaktion zur Tötung Bin Ladins von Anfang Mai 2011 oder auch über
den erfolgreichen Cyber-Angriff
israelischer und amerikanischer
Dienste mit dem Computervirus „Stuxnet“ auf iranische Atomanlagen von 2010 sickerten
die Geheiminformationen nicht,
sie flossen buchstäblich.
Ist es ein Zufall, dass
ausgerechnet ein Reporter
von Fox News ins Fadenkreuz der
FBI-Ermittler geriet? Und
das für die Weitergabe der banalen „Geheiminformation“,
dass das Regime in Pjöngjang
auf verschärfte Sanktionen mit weiteren Provokationen
wie Nuklear- oder Raketentests zu reagieren pflegt.
Ist es ein
Zufall, dass die Regierung Obama doppelt so viele Fälle wegen
Verstoßes gegen das Anti-Spionage-Gesetz von 1917 verfolgt hat wie alle früheren Regierungen
zusammen? Einst wurden Spione ausländischer
Dienste und durch Geldgier motivierte Geheimnisverräter aufgrund des
„Espionage Act“ von 1917 verurteilt. Kein einziger der
Angeklagten der Ära Obama hat Geld genommen oder mit ausländischen
Agenten kommuniziert. Nur am falschen Ort mit den falschen amerikanischen Reportern.