Freund und Feind

 

Die Nato und Russland wollen sich erstmals gemeinsam gegen Bedrohungen schützen. Doch der neuen Freundschaft droht Ungemach aus Washington. Schafft es der neue Start-Vertrag nicht durch den Senat, wird in Moskau das Misstrauen wiederaufflammen.

 

Von Berthold Kohler

 

21. November 2010

 

Als am Ende alle den neuen Westfälischen Frieden von Lissabon bejubelten, blieb einer auf dem Boden: der Bär. Für beides gibt es Gründe. Nato und Russland überwanden mit ihrer Verständigung über die Zusammenarbeit auf dem Feld der Raketenabwehr nicht nur die Eiszeit, die mit dem Georgienkrieg in ihr Verhältnis zurückgekehrt war. Erstmals wollen sich die ehemaligen Feinde gemeinsam gegen neue Bedrohungen von dritter Seite schützen. Das darf man angesichts einer Beziehungsgeschichte, in der die Beteiligten sich mit mehrfacher Vernichtung drohten, durchaushistorischnennen.

 

Doch besteht das neue Zeitalter bisher nur aus Absichtserklärungen, die auch noch nicht vollkommen identisch klingen. Der russische Präsident stellte Bedingungen für die Beteiligung am Raketenschirm, die nicht jedem in der Nato schmecken. Werden sie nicht erfüllt, dann will der Kreml sich nicht nur von diesem Projekt, sondern auch von den neuen Zeiten zurückziehen: Dann müsse Moskau (wieder) seine Fähigkeit zur nuklearen Abschreckung verbessern.

 

Nichts eint so sehr, wie ein gemeinsamer Feind

 

Ungemach droht der neuen Freundschaft allerdings auch im Westen. Schafft es der neue Start-Vertrag zur Reduzierung der strategischen Atomarsenale nicht durch den von den Republikanern beherrschten Senat, dann wird auch in Moskau das mühsam unterdrückte Misstrauen wiederaufflammen. So kurios es angesichts früherer Debatten über das Verhältnis von Offensive und Defensive in der Nuklearstrategie klingt: Ohne Abrüstung bei den Angriffssystemen wird es keine gemeinsame Aufrüstung bei der Raketenverteidigung geben. Die Hinwendung zu letzterer stellt tatsächlich eine historische Wende dar: Erstmals strebt die Nato die Fähigkeit an, „unsere Bevölkerung und unser Territorium gegen einen Angriff mit ballistischen Raketen zu schützen“. Das heißt im Klartext, dass die Verbündeten nicht mehr in ausreichendem Maße an die Macht der Abschreckung glauben, jedenfalls nicht im Verhältnis zu Regimen wie dem iranischen.

 

Vor diesem Hintergrund sind auch die Beschlüsse der Nato zu Afghanistan zu sehen. Stürzte das Land nach einem Rückzug des Westens zurück ins Chaos, dann könnte es den nuklear bewaffneten Nachbarn Pakistan mit sich reißen. Gemeinsame Sorgen haben die Nato und Russland also mehr als genug. Beide müssten sich noch daran erinnern können, dass nichts so sehr eint wie ein gemeinsamer Feind.