Die Schattenseiten der Lichtgestalt Suu Kyi

 

Myanmars Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wird in den USA mit höchsten Ehren ausgezeichnet. Doch die Politikerin ist nicht die Heilige, zu der sie gemacht wird. Kritik mutet fast wie Blasphemie an – ist jedoch wichtig.

 

von Georg Fahrion

 

Man braucht die Bilder dieser Reise gar nicht abzuwarten, um sie vor sich zu sehen: Andächtig lauschen die US-Präsidenten Clinton, Bush und Obama. First Lady Michelle zeigt sich ergriffen. Die Abgeordneten brechen in stürmischen Applaus aus, als der Speaker die Goldmedaille des Kongresses überreicht, die höchste Auszeichnung des US-Parlaments. Im Mittelpunkt steht eine Frau, deren 67 Jahre ihrer Grazie und Schönheit nichts anhaben können, mit Blumen im Haar und einem schlagfertigen Humor, den ihre Universitätsjahre in Oxford gefärbt haben: Die myanmarische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi bereist Amerika, und es wird ein Triumphzug werden.

 

"Mutter Suu", wie die Menschen ihres Heimatlands sie liebevoll nennen, hat lange Pein erduldet. Beharrlich trotzte sie den Generälen, die Myanmar fünf Jahrzehnte lang unterjocht hatten. 15 Jahre harrte Suu Kyi im Hausarrest aus. Selbst als ihr geliebter Ehemann in Großbritannien an Krebs starb, verließ sie Myanmar nicht, um an seiner Seite zu sein - zu groß war ihre Angst, das Militär würde ihr die Wiedereinreise verweigern, sie trennen von ihrem Volk.

 

Im Frühjahr 2011 ist das Militär einer formell zivilen Regierung gewichen, die eine Öffnung eingeleitet hat. Seither erntet die "Lady" den Lohn für ihr Leid. Die Myanmaren danken es ihr mit stürmischer Liebe, dass sie ihnen ein Licht war in den Jahren der Dunkelheit; das Ausland empfängt sie als Heldin übermenschlicher Statur, der höchstens Nelson Mandela und Mahatma Gandhi gleichkommen. Obwohl sie es sich verbeten hat, begegnet die Welt ihr wie einer Heiligen.

 

Auch wenn es sich fast anhört wie Blasphemie: Das ist sie nicht. Die ihr entgegengebrachte Verehrung trübt den Blick für Suu Kyis Schwächen. Sie behindert eine Analyse ihrer politischen Fehler und Unzulänglichkeiten. Und sie macht es fast unmöglich, einzugestehen, dass auch die Lady Adressatin von Kritik sein kann - und sollte. Es fängt damit an, dass sie stur ist - andere sagen nachtragend. "Sie gönnt der Regierung nichts", sagt ein in Rangun stationierter Diplomat. Das mag nachvollziehbar sein, ist das Kabinett doch voller Ex-Militärs. Doch im Interesse des Landes ist es kaum, wenn die Regierung keinen Erfolg hat. So hat Suu Kyi sich lange gegen die Aussetzung der westlichen Sanktionen gewehrt, obwohl vor allem das Volk darunter litt. Es war ihre Trumpfkarte gegen die Generäle.

 

Diese Haltung hat sie inzwischen geändert. Doch daraus folgt nicht, dass Suu Kyi nun einen Plan für den wirtschaftlichen Aufbau hätte. "Von moderner Wirtschaft hat sie keine Ahnung", sagt einer, der sie mehrfach getroffen hat. Die Lady habe "sozialromantische Vorstellungen", unterscheide zwischen "guten" und "bösen" Investitionen. Ein myanmarischer Geschäftsmann, der gute Kontakte sowohl zu Suu Kyis National League for Democracy (NLD) als auch zum Militär hat, sekundiert: "In der NLD gibt es keine fähigen Wirtschaftsberater, keine Ökonomen."

 

Das mag auch daran liegen, dass sie in der NLD den Status einer Alleinherrscherin innehat. Gegen ihren Willen kommen keine politischen Ideen voran, ihre Unterstützung entscheidet über die Karriere politischer Mitstreiter. Einem myanmarischen Journalisten zufolge hat sie sich Bemühungen des alten NLD-Kämpen Win Tin widersetzt, jungen Talenten in der Partei mehr Verantwortung zu übertragen. "Sie ist keine gute Zuhörerin", sagt ein Geschäftsmann.

 

Auch vis-à-vis der Gegenseite leistet sie sich manch unnötigen Affront. Bei den Nachwahlen im April hatte sich die NLD 43 von 45 offenen Parlamentssitzen gesichert, einen davon für Suu Kyi. Doch zur Parlamentseröffnung Anfang Juli erschien sie einfach nicht. Auch in den Tagen darauf fehlte sie. Das fiel unangenehm auf: "Die meisten Abgeordneten haben das Gefühl, dass sie das Parlament nicht respektiert", sagt ein Mandatsträger der militärnahen USDP.

 

Eine andere Quelle in Myanmar überliefert folgende Anekdote: Nach den Nachwahlen kam ein General zu ihr und sagte: Sie haben gewonnen. Sie werden auch bei der kommenden Wahl 2015 gewinnen. Was springt für uns dabei heraus? Suu Kyi habe ihm die kalte Schulter gezeigt und gesagt: "Wir werden ein demokratisches Land sein." Ihr Unwillen, einen Deal zu schließen, ist prinzipienfest, politisch klug ist er nicht. Ein Militär, das fürchtet, nach einer wahrhaft demokratischen Wahl nicht nur seine Pfründe zu verlieren, sondern auch strafrechtlich verfolgt zu werden, wird kaum geneigt sein, diese demokratische Wahl zuzulassen.

 

Und dann ist da noch ihr Schweigen angesichts der Verbrechen, die Milizen und Mordbanden in Myanmars Westen, im Rakhaing-Staat, seit Juni an der muslimischen Minderheit der Rohingyas verüben. Es ist unbestritten, dass bei den dortigen Ausschreitungen auch Buddhisten getötet wurden. Berichte von Menschenrechtsorganisationen lassen aber keinen Zweifel daran, dass es vor allem Rohingyas sind, die gelyncht, deren Häuser verbrannt, die zu Zehntausenden vertrieben wurden. Buddhistische Mönche haben ihren Glaubensgenossen untersagt, Freundschaften zu Rohingyas zu pflegen. Die Regierung betrachtet sie als Staatenlose. Ein einziger solidarischer Satz Aung San Suu Kyis hätte helfen können, die Not dieser Ausgestoßenen zu lindern. Sie hat ihn nicht gesprochen.