Europa verdient die Demütigung
Leitartikel Dem europäischen Kontinent, eine der reichsten Regionen der Welt, gelingt es seit Jahren nicht, die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Die Schwellenländer steuern deshalb Lektionen bei. Die tun weh - sind aber hilfreich.
Da kann man schon dünnhäutig werden als EU-Kommissionschef, wenn nach all den Anstrengungen der vergangenen Monate nur herumgekrittelt, geklagt, gespottet wird über Europa. "Wir lassen uns hier von niemandem belehren", ließ José Manuel Barroso auf dem Treffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer deutlich vergrätzt wissen. Allein: Es nützt nichts mehr - Europas Demütigung auf dem G20-Gipfel ist verdient. Sie ist verständlich. Und vielleicht ist sie am Ende sogar hilfreich.
Sie ist verdient, weil es einer der reichsten Regionen der Welt seit über zwei Jahren nicht gelingt, die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen - und jeden Tag die Gefahr größer wird, dass sie die Weltwirtschaft in ihrem Abwärtsstrudel mitreißt. Sicher, es wurde zwar Beachtliches zur Krisenbewältigung geleistet, vieles, was noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Da wurden große Rettungsschirme aufgespannt und riesige Liquiditätsspritzen verteilt. Doch immer noch hinken die Retter nur hinterher, verlieren sich bei der Rettung der Gemeinschaftswährung im Hickhack ihrer Nationalinteressen.
Der Weltgemeinschaft ist diese Reaktionsschwäche der Europäer nicht mehr vermittelbar. Wenn sie es je war. Dass es den EU-Mitgliedsstaaten trotz der Dramatik der Lage zudem nicht gelingt, mit einer Stimme zu sprechen, hat zu einem großen Ansehensverlust in der Welt geführt. Und untergräbt das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung weiter.
Die Lektionen, die Europa beim G20-Gipfel insbesondere von den Schwellenländern - mit kaum unterdrückter Freude - erteilt wurden, sind auch verständlich. Oft genug waren sie in der Vergangenheit Adressaten von Belehrungen und Vorgaben aus der EU. Jetzt müssen sich eben die Europäer an die ungewohnte Tonalität gewöhnen. Und an die neue Machtverteilung in der Welt.
Sicher ist aber auch, dass nicht nur die gescholtenen Europäer große Probleme haben. Zurzeit können sich andere Staaten wie die USA mit ihren eigenen Problemen noch hinter der Euro-Krise verstecken. Doch das wird sich ändern, wenn es der Euro-Zone tatsächlich gelingt, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Und dafür wiederum könnte die Maßregelung der Europäer beim G20-Gipfel hilfreich gewesen sein. Denn im Zweifel eint der Druck von außen.