Rache ist teuer

 

Entgegen allen Legenden haben die Anschläge von 2001 der US-Wirtschaft kaum wirklich geschadet. Dafür haben erst Bushs Vergeltungskriege gesorgt - und Banken, die kollabieren. Ganz ohne Terroreinfluss.

 

von Thomas Fricke

 

Die Mutmaßung hält sich seit den ersten Stunden nach dem Anschlag: Der Terror habe Amerikas Wirtschaft in die Rezession gestürzt. Ach: Im Grunde hat nach dem 11. September die ganze große Schuldenmisere angefangen. So heißt es. Weil die Notenbank aus Panik die Zinsen senkte und so Schuldenmachen förderte.

 

Klingt irgendwie angemessen. Nur so richtig belegen lässt es sich nicht. Im Gegenteil. Zehn Jahre danach drängt sich der Verdacht eher auf, dass der 11. September weder direkt noch indirekt größere Spuren in US- oder Weltwirtschaft hinterlassen hat. Dafür hat höchstens der damalige US-Präsident George W. Bush gesorgt, mit seinen Vergeltungskriegen. Wobei selbst die nicht ansatzweise so teuer waren wie die Finanzkrise seit 2007.

 

Klar, gab es nach dem 11. September mehr oder weniger berechtigte Sorgen. Der Ölpreis schoss erst mal hoch. Die US-Börsen blieben geschlossen, in Europa brachen die Kurse ein. Da herrschte Angst, dass Banken und Versicherer kollabieren; oder sich Lieferengpässe ausweiten, weil Unternehmen vom Terror gestoppt wurden, kein Flugzeug mehr flog und Luftlinien pleitegingen; oder dass US-Konsumenten aus Panik nichts mehr kaufen. Da kursierten bald Schätzungen, wie viel verschärfte Sicherheitsmaßnahmen kosten - und wie das die Globalisierung bremst.

 

Tatsächlich brachen in den ersten Wochen Umfragewerte wie der Einkaufsmanagerindex ein. Die Anträge auf Arbeitslosenhilfe schnellten um fast 100.000 hoch. Und in der US-Industrie gingen deutlich weniger Aufträge ein. Nur hielt der Schock lediglich kurz. Schon im Dezember lagen die Anträge auf Arbeitslosenhilfe wieder auf Vorkrisenniveau. Die unmittelbaren Kosten der Zerstörung wurden später auf 20 Mrd. Dollar geschätzt, was für New York enorm war, gemessen an der US-Wirtschaftsleistung aber gerade 0,2 Prozent ausmachte - zu wenig, um die ganze Wirtschaft kollabieren zu lassen.

 

In Wirklichkeit war die US-Wirtschaft ja vor den Anschlägen in einer Rezession, die vom Platzen der New Economy kam, nicht hinterher. Die Anschläge dürften höchstens das Ende der Rezession um ein, zwei Monate verschoben haben. Nach amtlicher Zählung begann der neue Aufschwung bereits im November 2001.

 

Norweger kämen besser weg

 

Was ausblieb, waren größere Bankencrashs, dafür hatte die Notenbank mit Geldzusagen gesorgt. Zwischendurch fiel der Ölpreis, aus Angst vor einer Rezession, was die Konjunktur wiederum stützte. Und die US-Verbraucher gewannen schnell wieder Zuversicht, weil weitere Terroranschläge ausblieben. Auf Dauer scheint selbst die Globalisierung nicht unter den stärkeren Sicherheitskontrollen gelitten zu haben. Der Welthandel expandierte in den sechs Jahren nach 2001 mit gut 50 Prozent so schnell wie in den sechs Jahren davor. Da ist kein Bruch erkennbar.

 

Nach Analysen des Stanford-Ökonomen Nick Bloom hat auch die US-Notenbank nicht unvorsichtig überreagiert: "Die Fed hat maßvoll geholfen, was sich angesichts eines vorübergehenden Schocks als absolut angemessen erwies." Die Zinsen erschienen erst lang nach den Anschlägen auffällig niedrig - wegen der damals kursierenden globalen Deflationsängste, nicht wegen des Terrors. Als Grund für die spätere Immobilienblase kann das kaum herhalten. Die Hausse begann vor 9/11.

 

Rezession und Immobilienblasen wegen Osama Bin Laden? Eher Legende. Keine Legende ist, wie die US-Regierung auf die Anschläge reagierte: mit zwei Kriegen, die sich laut der damaligen Regierung fast selbst finanzieren sollten, nach neueren Schätzungen von US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz aber zwischen 1000 und 5000 Mrd. Dollar gekostet haben.

 

Amerikas Verteidigungsausgaben sind seit Beginn der Kriege von rund 300 auf mittlerweile fast 800 Mrd. Dollar gestiegen; wären die USA beim Niveau von 1999 geblieben, hätten sie in der Summe von 2001 bis 2011 rund 5800 Mrd. Dollar weniger ausgeben müssen. Das hat auch die Margen reduziert, mit denen die Regierung seit 2007 auf die Finanzkrise reagieren konnte.

 

Noch ein möglicher Nebeneffekt des Rachezugs: Vor 2001 pendelte der Ölpreis immer zwischen 10 und 30 Dollar je Barrel. Seitdem ist er auf ein - vorher unvorstellbar - Vielfaches gestiegen. Vielleicht ist auch das kein Zufall; kriegsbedingt fielen im Nahen Osten eine Menge Produktionskapazitäten aus. Da steigt der Preis. All das sind weniger die Folgen der Anschläge selbst, als einer Reaktion darauf, die nicht zwingend war. Man könnte es auch so zu formulieren versuchen: Die Norweger hätten mit ihrem vermutlichen Verzicht auf Rache gegen Terroristen nicht nur weniger militärischen Schaden angerichtet als Bushs USA, sie wären auch günstiger und ökonomisch besser weggekommen als die Amerikaner.

 

Ein verstörender Unterschied

 

Nur für einen vermeintlich naheliegenden Befund reicht selbst diese Feststellung nicht aus: dass die aktuellen Schuldenprobleme der USA mit dem zu tun haben, was am 11. September passiert ist.

 

In den sechs Jahren von 2001 bis 2007 stieg die Bundesverschuldung in den USA um insgesamt knapp 3200 Mrd. Dollar; in den vier Jahren seit Ausbruch der Finanzkrise allein um mehr als das Doppelte. Sprich: Gegenüber dem, was der Bankenkollaps seit 2007 kostet, ist selbst Bushs Feldzug (fast) noch günstig. Hätten die Amerikaner nach 2002, statt Kriege zu führen, die Staatsschulden im gleichen Tempo wie einst Bill Clinton in den 90er-Jahren um jährlich 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung gesenkt, hätte die Quote bei Ausbruch der Finanzkrise bei 50 statt 62 Prozent gelegen. Dann läge sie heute, im Jahr fünf der Krise, bei 90 statt 100 Prozent. Schön. Macht gemessen an den Schäden des Bankendesasters aber auch keinen so enorm großen Unterschied.

 

Was etwas verstörend Gruseliges hat. Amerikas Zukunft wird stärker erschüttert, wenn wie 2008 die Angestellten einer untergehenden Investmentbank mit Umzugskartons über die Wall Street laufen, als wenn dort Flugzeuge in Hochhäuser rasen und dabei 3000 Menschen umbringen. Absurde Welt.