Sonderfall Rezession
Thomas Fricke
Nach großen Schocks
wie der Katastrophe
in Japan kursieren rasch Sorgen über globale
ökonomische Ansteckung und Crashs, von denen fast alle am Ende
ausblieben. Fast alle. von
Thomas Fricke
Experten sind am meisten
gefragt, wenn sie am wenigsten wissen. Zumindest nach Katastrophen wie der, die seit
einer Woche Japan und die
Welt schockiert - und bei der niemand recht
weiß, was noch passiert, weder Physiker noch Ökonomen.
Das Reaktionsmuster ist trotzdem immer
ähnlich, ob nach Erdbeben, Wirbelstürmen oder Terroranschlägen wie 2001: Früher oder später kursieren
Szenarien darüber, was die menschliche Tragödie wirtschaftlich bedeutet. Für die betroffene Region. Und für die Weltwirtschaft. Da findet sich meist
dann auch ein Experte, der
die globale Rezession
"nicht ausschließt".
Wegen der Verflechtung.
Solche Szenarien wirken im ersten
Moment plausibel, stehen allerdings in Widerspruch dazu, was in aller Regel folgt, so zynisch das wirkt:
Es gab in den vergangenen Jahrzehnten
so gut wie keine noch so schlimme Natur- oder Menschenkatastrophe,
die das Wirtschaftsleben mehr als ein
paar Wochen beeinträchtigt hat - erst recht nicht auf globaler Ebene. Fragt sich eher,
warum - und ob - es Ausnahmen gibt, die auf Japans Atombeben diesmal doch zutreffen könnten.
Nach dem Atom-GAU von Tschernobyl herrschte im Frühjahr
1986 Alarm bis nach Deutschland. Was die Deutschen
nicht abhielt, in diesen Atomwochen wie seit Jahren
nicht zu deklarieren, dass die Zeit prima sei für größere
Anschaffungen. Beim Beben von Kobe starben im Januar 1995 mehr als 6000 Menschen,
ein Desaster - was dazu führte, dass
Japans Industrieproduktion in dem
Monat zwar um 2,6 Prozent zum Dezember
fiel, schon im März aber
wieder Vorbebenniveau erreichte.
Ähnliches gilt für den Hurrikan "Katrina". Und den Tsunami, der Ende 2004 Asien
traf. In Thailand sank die Wirtschaftsleistung
im ersten Quartal 2005 - um danach sofort wieder rasant
zu wachsen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sackte laut Umfragen die Konjunkturstimmung weltweit drastisch, was wochenlang Rezessionangst nährte. Es passierte das Gegenteil.
Die US-Wirtschaft beendete im vierten Quartal
die (vorher begonnene) Rezession.
Jetzt ließe sich
der Befund von den glimpflichen wirtschaftlichen Folgen relativieren durch die Art, wie Statistiker das erfassen: Was die Katastrophen an
Menschenleben und Gebäuden vernichten, wird definitionsbedingt nicht vom Bruttoinlandsprodukt abgezogen (was auch etwas makaber wäre).
Der Wiederaufbau steigert
die gemessene Leistung aber.
Dass das Desaster
regelmäßig überschätzt wird, hat aber noch andere Gründe.
Gängige Schadenschätzungen gehen immer davon
aus, dass der Wachstumsverlust etwa dem entspricht,
was die zerstörte Region vorher erwirtschaftete. Viele Unternehmen betreiben aber mehrere Werke, die nicht alle betroffen
und selten alle ausgelastet sind. Und es gibt selbst
bei hoch spezialisierten Maschinenbauern immer auch Konkurrenten,
die in der Krise einspringen.
Dazu kommt, dass
Regierung wie Notenbank auf drohende Abstürze reagieren - und so einen Teil der
Katastrophenfolgen schon wettmachen. Nach dem 11. September senkten die Notenbanken ihre Zinsen, und es gab Konjunkturpakete. Außerdem ist mancher Übertragungskanal
doch nicht so globalisiert, wie es die gefühlte Globalisierung vermuten lässt. Zwar reihen
sich Kurstrends an den Börsen rasch aneinander.
Reine Aktiencrashs wie im Oktober
1987 lassen aber vermuten, dass die realwirtschaftlichen Folgen reiner Kursabstürze eher gering sind
- weil die Betreffenden in der Regel keine,
sagen wir, Hartz-IV-Empfänger sind und wegen eines Kurssturzes
nicht gleich ihr Auto verkaufen. Selbst dem New-Economy-Crash folgte nur eine
relativ mickrige US-Rezession.
Teil 2: Lehman schockiert Taiwan
Ähnliches gilt für die Realwirtschaft. Studien zeigen, dass selbst
zwischen sprachgleichen, offenen Nachbarn wie Kanada und den USA weit weniger gehandelt
wird, als es Regionen innerhalb
der Landesgrenze tun. Was Ökonomen
"Home-Bias" nennen, die Neigung
zur Heimat sozusagen.
All das
wäre wirtschaftlich genug Grund zur
Entwarnung - wenn es nicht ein
Gegenbeispiel gäbe, das zwar nur
bedingt als Naturkatastrophe durchgeht, bei dem die globale
Ansteckung aber atemberaubend war: die Lehman-Pleite
2008. Dass die Wall Street plötzlich
massenhaft Leute entließ, ließ in den Wochen danach selbst
den Export Taiwans um 30 Prozent
einbrechen.
Amerikas Immobiliencrash reicht nicht, um das zu erklären.
Der macht nur einen Bruchteil des Welt-BIPs aus. Plausibler
ist als Erklärung
ein anderer, ungeahnter Schock: dass Banken sich
gegenseitig nicht mehr trauten und kein Geld mehr liehen, vorher undenkbar, was dazu führte, dass weltweit
Exporte nicht mehr vorfinanziert wurden. Eine systemische
Krise mit Folgen. Weil keiner mehr wusste, ob die eigene Bank morgen noch da ist, wurden
Investitionen gestoppt und Liquidität gesichert, so Holger Schmieding, Chefökonom der Berenberg Bank. Eine Schockstarre.
Allein über direkte
Schäden, Handelsketten oder Stimmungsschübe wird ein Naturdesaster
nicht zur Globalkrise. Hier könnte der Unterschied
zwischen wirtschaftlich eher folgenlosen und -schweren Katastrophen liegen. Dafür müssen
systemische Grundlagen gestört sein, wie
2008/09 die Bankfinanzierung, auf die alle vertrauen, normalerweise blind.
Das Gute ist:
Es ist ziemlich unplausibel, dass Japans Erd- und Atombeben jetzt erneut zu
einer Geldnot unter Banken führt
- anders als nach dem Lehman-Bankenschock bei ohnehin akut kriselnder
Branche.
Bedrohlicher ist, dass
der systemische Schock andere Formen
annehmen kann: wenn statt des Urvertrauens in die Geldversorgung
vor lauter Atomdesaster das Urvertrauen in die Versorgung mit Energie schwände.
Das träfe wie beim Geld jeden,
Unternehmen wie Haushalte, und das weltweit. Das könnte
zu ähnlich abrupten Ausgabenstopps führen, die dann tatsächlich eine globale wirtschaftliche Kettenreaktion auslösen.
Ob es
so kommt, wissen Experten auch nicht.
Es wäre nach aller Katastrophenerfahrung aber gut, vor allem
dafür zu sorgen, dass es
zum Systemschock nicht kommt. Der Rest wird ökonomisch sehr wahrscheinlich tragbar sein. Wenigstens
das.